Erbschaft in DE – Gerechtigkeit und Gleichheit – Im Interview mit Prof. Dr. Bernd Ladwig

Was verstehen wir unter Gerechtigkeit? Was hat das mit Gleichheit zu tun? Und wie kann eine gerechte Gesellschaft gestaltet werden? Das sind Fragen, die in diesem ersten Interview zur Themenreihe “Erbschaft in Deutschland” an Prof. Dr. Bernd Ladwig gestellt werden. Er ist Professor für politische Theorie und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Fragen der Menschenrechte, der Menschenwürde und der Gerechtigkeit.


GESPRÄCHSSTOFF

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Soziale Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit… Was verstehen wir unter Gerechtigkeit?

“Es gibt sehr viele Berufungen auf Gerechtigkeit, die dann auf Bindestrich- Gerechtigkeiten hinauslaufen. Man verliert den Zusammenhang aus dem Auge und denkt dann bei Gerechtigkeit nur an etwas moralisch besonders wichtiges oder vordringliches. Dabei geht es begrifflich, und das ist jetzt eine alte und sehr klassische Bestimmung, um die Idee, dass jeder und jede das erhalten soll, zum Beispiel an Gütern, was ihm oder ihr zusteht. Also jedem das Seine, um es sehr Schlagwortartig zu verkürzen. Man könnte auch sagen, es geht bei Gerechtigkeit um so etwas wie gültige Ansprüche. Was ein gültiger Anspruch ist, das ergibt sich nun letztlich, so bin ich jedenfalls überzeugt, aus einer moralischen Argumentation, in der wir auf eine willkürfreie Weise bestimmen wollen, wer, was, von wem erwarten darf und aus welchen Gründen.”

Kann man begründen, dass nicht jeder das gleiche bekommt?

“Ja, man sollte zwei grundverschiedene Arten der Begründung unterscheiden: Klassisch, wenn sie etwa an einen so großen Denker wie Aristoteles denken, war die Vorstellung, die Menschen sind moralisch gesehen nicht gleich, sondern ungleich. Sie sind ungleich an Würde, sie sind ungleich an Grundfähigkeiten und schon deshalb ist das, was zum Beispiel für Edelleute angemessen ist, für Bettelleute oder Handwerker oder Bauern noch lange nicht angemessen. Das, was für Männer angemessen ist, ist für Frauen noch lange nicht angemessen, und so weiter. Das ist eine traditionelle klassische Art diese Frage zu beantworten und hier wird von vornhinein eine Diskriminierung eingeführt innerhalb der Menschheit und den Menschen sind dann verschiedenen Stufen der Würdigkeit zugewiesen, wenn man so will. Das halten wir heute für nicht mehr für akzeptabel, will ich jetzt einfach mal pauschal sagen. Die Menschenrechte beruhen auf der Idee der moralischen Gleichwertigkeit aller Menschen, ungeachtet solcher Eigenschaften, wie Geschlecht, Herkunft, Familienstand. Das heißt, alle Gründe, die jetzt noch für eine Abweichung von Gleichverteilung diskutabel sind, müssen mit dieser moralischen Gleichwertigkeit aller vereinbar sein.”

Weiterführende Informationen

(Un)gerechtigkeit der Erbschaft in Deutschland

Statistik über die Erbschafts- und Schenkungsteuer in DE

Erbschaft im europäischen Vergleich


Autor:

Ray Haase