Frankreich vor der Stichwahl

Zwischen politischer Enttäuschung und rechter Bedrohung

Frankreich hat gewählt und steckt dennoch mitten im Wahlkampf. Nach der ersten Runde fiebern alle Beteiligten nun auf die alles entscheidende Stichwahl zu. Der Amtsinhaber Macron und die Herausforderin Marine Le Pen werden jetzt wohl vor allem linke Wähler*innen für sich gewinnen müssen.


GESPRÄCHSTOFF

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Letztendlich lief dann doch alles wie vorhergesehen – Emmanuel Macron und Marine Le Pen bleiben die bestimmenden Persönlichkeiten der französischen Politik und treten am 24. April in der Stichwahl gegeneinander an. Heimlicher Gewinner der ersten Runde ist jedoch Jean-Luc Mélenchon, der es geschafft hat, unter dem Banner der „Union populaire“ die linken Stimmen hinter sich zu vereinen und so fast auf den zweiten Platz hinter Macron und so auch in der Stichwahl gelandet wäre. Sein Resultat lag nur knapp hinter dem der Rechtspopulistin Le Pen und weit über seinen Werten in den Umfragen.

 

Mikrofon vor dem Elysee Palast
couchFM vor Ort: Emmanuel Macron will den Élysée-Palast gegen Marine Le Pen verteidigen | Foto: Jan Kuipers

Somit werden die linken Wähler:innen im Kampf um den Élysée-Palast zur entscheidenden Machtfrage. Ihr Verhalten ist jedoch schwer zu prognostizieren. Zwar hat ihr Anführer Mélenchon dazu aufgerufen, „keine einzige Stimme“ an Le Pen zu geben, einen klaren Wahlaufruf für Macron – wie ihn beispielsweise der Grüne Yannic Jadot abgab – vermied er allerdings. Gerade junge Linke stehen vor dem Dilemma, dass sie sich nichts weniger wünschen als eine Präsidentin Le Pen, sich aber auch nicht dazu durchringen können, ihre Stimme Macron zu geben, der in den vergangenen fünf Jahren mit seiner konservativ-liberalen Politik ihre Erwartungen gänzlich enttäuscht hat. Die derzeitigen Besetzungen der Fakultäten in Paris und Nancy vergangene Woche sind ein Ausdruck dafür.

Mélenchon-Anhänger:innen wollen sich enthalten

Mittlerweile haben sich rund zwei Drittel der Anhänger:innen von Mélenchon in einer internen Abstimmung dafür ausgesprochen, sich bei der Stichwahl entweder zu enthalten oder der Wahl fern zu bleiben. Die Wahlbeteiligung könnte also noch niedriger ausfallen, als im ersten Wahlgang, als sich rund 26 Prozent enthielten – ein Symptom des französischen Mehrheitswahlsystems, durch das viele Teile der mittlerweile sehr heterogenen französischen Gesellschaft nicht mehr repräsentiert seien. So erklärte es die Politikwissenschaftlerin Miriam Hartlapp bereits vor dem ersten Wahlgang im Interview mit couchFM. Das kann eine ernsthafte Gefahr für Präsident Macron werden, der sich nun als Verteidiger der liberalen Werte und der europäischen Idee inszeniert und damit um die Stimmen der Progressiven wirbt.

Zumindest in Paris bildeten sich beim ersten Wahlgang lange Schlangen vor den Wahllokalen | Foto: Jan Kuipers

Rechtsextremist Zemmour scheitert vorerst

Für viel Wirbel hatte im Wahlkampf auch der ehemalige Journalist und Rechtsextremist Eric Zemmour gesorgt. Er machte zeitweilig Le Pen mit seinen rassistischen und verschwörungsideologischen Positionen starke Konkurrenz. Nun landete er mit gut sieben Prozent zwar weit unter seinem prognostizierten Ergebnis, dennoch erschrecken solche Zahlen. Laut Miriam Hartlapp, die an der FU Berlin zum Vergleich von Frankreich und Deutschland forscht, würden mittlerweile fast die Hälfte der Franzos:innen rechtspopulistische oder rechtsextremistische Einstellungen vertreten.

Fraglich ist auch, inwieweit die jetzt gescheiterten Kandidat:innen Einfluss auf die Parlamentswahlen im Juni nehmen können. Zemmours Partei „Reconquête“ hat bereits angekündigt, sich von der Niederlage bei der Präsidentschaftswahl nicht entmutigen zu lassen. Auch Mélenchon, der im Moment für seine Partei „La France insoumise“ in der Nationalversammlung sitzt, will unter dem Banner der „union populaire“ die gespaltene französische Linke einen. Der möglichen Präsidentin Le Pen oder dem Amtsinhaber Macron würde er mit einer linken Mehrheit im Parlament das Leben schwer machen.


Jan im Gepräch mit couchie-Kollegin Leonie:

*Korrekturhinweis zum Audio: Leonie hat in ihrer Anmoderation Macrons erstes Wahlergebnis mit 17 Prozent angegeben. Tatsächlich erreichte er knapp 28 Prozent der Stimmen.

 

Weiterführende Informationen

TF1 Info – La France face à la guerre” Video vom 14.03.2022

Wahlergebnisse und Analysen auf francetvinfo.fr 

 

 


Autor:

Jan Kuipers

 

 

 couchie-Kollegin im Gespräch:

Leonie Koll