couchFM zu Gast im Geburtshaus “Rundfrau” in Leipzig

Wieso das Thema Geburt auch junge Menschen etwas angeht

Auch wenn man noch keine Kinder hat und selbst wenn man gar keine Kinder möchte: Beim Thema Geburt und bei der Auseinandersetzung mit dem Hebammenberuf kann man viel über das Frau-Sein und die Tabus, die immer noch an bestimmten Themen rund um Weiblichkeit, Sexualität und Intimität haften lernen. Das und viel mehr hat die Hebamme Sophie Neuffer, für couchFM genauer erklärt. Sie arbeitet im Geburtshaus “Rundfrau” in Leipzig. Wir haben sie dort besucht.


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Im April 2022 meldete das Statistische Bundesamt, dass jede dritte Geburt in Deutschland 2020 ein Kaiserschnitt war. Damit hat sich die Kaiserschnittrate seit 1991 verdoppelt. Doch der Kaiserschnitt ist zwar der letzte, aber nicht der einzige Eingriff in den natürlichen Geburtsverlauf. So können beispielsweise die Wehen einer Frau mit einem sogenannten Wehentropf künstlich eingeleitet werden, Schmerzen können mithilfe einer Narkosetechnik – der sogenannten PDA – gelindert werden und manchmal muss ein Baby auch mit der Saugglocke oder Zange geholt werden. Viele Hebammen sind mit solchen Eingriffen in den Geburtsverlauf unzufrieden. Das ergab eine Studie der IGES im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums aus dem Jahr 2020. Knapp 70 Prozent der befragten Hebammen in der klinischen Geburtshilfe gaben an, dass weniger invasive Eingriffe und Geburtseinleitungen ihre Arbeitsqualität verbessern würden. Sie wünschen sich zudem eine 1:1-Betreuung von Hebamme zu Mutter. Der Wunsch nach einer engmaschigen Betreuung und weniger Eingriffen bewegt viele Hebammen sogar dazu, die klinische Geburtshilfe zu verlassen.

Auch die Hebamme Sophie Neuffer, 23, hat nach ihrer Ausbildung zur Hebamme die klinische Geburtshilfe verlassen. Sie arbeitet inzwischen im Geburtshaus “Rundfrau” in Leipzig. Dort begleitet sie Frauen und Paare “vom positiven Schwangerschaftstest bis zur Beikosteinführung,” also in den meisten Fällen über ein Jahr lang. Im Geburtshaus werden aber nur physiologische Geburten betreut, das heißt, Geburten, bei denen planmäßig nicht in den Verlauf einer Geburt eingegriffen wird. Hier arbeiten nur Hebammen. Keine Ärzt:innen.

“Im Umgang mit Weiblichkeit, Sexualität und Intimität und damit auch Geburt existieren in unserer Gesellschaft Tabus”

Deshalb kann auch nicht jede Frau ihr Kind im Geburtshaus gebären, sondern nur Mütter und Kinder, bei denen kein erhöhtes Risiko für einen operativen Eingriff besteht. Doch nicht jede Mutter oder jedes Paar, dass sich eine solche Geburt wünscht, bekommt einen Platz. In Berlin gibt es knapp 20 Geburtshäuser. Das klingt nach viel, aber da in Geburtshäusern 1:1 betreut wird, können hier meist nicht so viele Frauen wie in den Kliniken aufgenommen werden. Die Nachfrage übersteigt das Angebot.

Trotz der Nachfrage gibt es jedoch auch viele Frauen, die nicht ins Geburtshaus wollen oder gar nicht wissen, dass sie diese Option haben. Wieso? Sophie betont, es gebe Tabus, die im Umgang mit Weiblichkeit, Sexualität und Intimität und damit auch Geburt in unserer Gesellschaft existieren. Noch immer dominiere ein Bild, welches man vor allem aus Filmen kennt, nämlich: Der Arzt “holt” das Kind und die Frau liegt dabei auf dem Rücken. Dieses Bild entspreche nicht der Realität. Geburt ist laut Sophie vor allem ein Kraftakt der gebärenden Person. Im Idealfall schaue sie nur staunend zu, während die Frau die Arbeit übernehme.

“Ich möchte in meiner Arbeit als Hebamme so begleiten, wie ich selbst als Frau begleitet werden möchte.”

Frau steht vor Wand an der Kärtchen hängen
Sophie vor einer Wand, an der Kärtchen mit Namen und Fußabdrücken der Babys hängen, die 2022 im Geburtshaus geboren wurden | Foto: Lucia Hundbiß

Sophie betont außerdem den Bildungsauftrag, den eine Gesellschaft rund um das Thema Geburt habe. Dieser beginne bei der Anpassung der Sprache. So sagen wir beispielsweise immer noch: “Eine Frau ist unter der Geburt.” Das degradiere die gebärende Frau. Zudem müsse dem Thema Geburt im Sexualkundeunterricht mehr Zeit und Einfühlungsvermögen gewidmet werden. Sophie zufolge ist der Umgang mit Geburt und gebärenden Frauen auch immer ein Gradmesser dafür, wie es den Hebammen geht und wie es Schwangeren und Müttern in unserer Gesellschaft geht beziehungsweise wie sehr wir diese wertschätzen. “Ich möchte in meiner Arbeit als Hebamme so begleiten, wie ich selbst als Frau begleitet werden möchte.”, sagt die 23-Jährige.

Im Gespräch mit couchFM wird klar, dass das Thema Geburt keines ist, mit dem man sich erst auseinandersetzen sollte, wenn man plant, ein Kind zu bekommen. Es ist eng verknüpft mit dem Wissen über den weiblichen Körper und wozu dieser fähig ist. Für jene, die keine Kinder gebären wollen oder können, ist es eine Frage der Solidarität, da in Deutschland jährlich knapp 800 000 Kinder auf die Welt kommen.

Zwei lachende Frauen sitzen am
couchFM-Reporterin Lucia und Sophie während der Aufnahme des Gästezimmers | Foto: Maira Neubert / Lucia Hundbiß

 

Weiterführende Informationen

Infos zum Geburtshaus “Rundfrau” findest du hier. Hier, hier und hier findest du Infos zu Eingriffen in den natürlichen Geburtsverlauf. Hier findest du Statistiken zu Kaiserschnitten und hier zu Geburten in Deutschland. Die Studie der IGES im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums kannst du hier herunterladen.


Autorin:

couchie Lucia

Lucia