Haldern Pop 2019

Quelle: haldernpop.com

„Be true – not better!“

Ein Festival, dass fast jedes Mal ausverkauft ist, bevor auch nur ein einziger Act veröffentlicht wird.

Ein Festival, für dass sich dieses Jahr über 500 Leute unentgeltlich engagiert haben und das eine Auszeichnung für das umweltfreundlichste Publikum verdient hätte.

Ein Festival, dass sich nicht nur für den Musiker Gisbert zu Knyphausen wie nach Hause kommen anfühlt, sondern auch für die vielen, vielen Besucher, die jedes Jahr wiederkommen und auch nach Jahrzehnten sogar mit ihren Familien dabei sind.

Was steckt dahinter?

 

Quelle: Christoph Bucksteegen

 

Haldern, ein knapp 6000 Leute kleiner Ort am Niederrhein. Der Himmel ist bewölkt, es riecht nach Landluft und die Leute strömen in Gummistiefeln in den Ortskern. Ein Mal im Jahr verwandelt sich der ganze Ort zur Festivalspielstätte. Die Bar, in der mehrmals im Monat musikalische Größen ihre neuen Alben und EP’s vorstellen – weshalb der Ort auch über die Grenze hinweg unter vielen Niederländern als Geheimtipp bekannt ist, das Jugendheim, das den urigen Dorfjugendheimcharakter mit seinen Holzverkleidungen ausstrahlt, das ortsansässige Tonstudio, in dem sonst international produziert wird und sogar die Kirche verwandelt sich neben dem alten Reitplatz, der als Hauptfestivalgelände dient, zur Spielstätte. Fragt man die Besucher, so wird ziemlich schnell klar: es geht hier nicht primär um die Musik. Es ist das Gefühl von nach-Hause-kommen in einer schnelllebigen Zeit, die es nicht immer leicht macht, runterzukommen und abzuschalten. So lässt auch schon der Slogan „Be true – not better!“ vermuten, dass es hier nicht um größer, schneller, besser geht, sondern um Qualität, die beibehalten werden will. Dieses Gefühl ist auch durchweg zu spüren. Alle gehen freundlich miteinander um und versuchen gemeinsam, an diesem einen Wochenende im August, die Zeit ein bisschen stillstehen zu lassen und drei ausgelassene Tage miteinander zu verbringen. Das ist es auch, was die Offenheit des Publikums gegenüber musikalischen Neuankömmlingen bewirkt. Zum einen enttäuscht Stefan Reichmann, der musikalische Leiter des Festivals, mit seinem Booking nie und zum anderen, lässt die entspannte Atmosphäre des Festivals auch keinen Funken negative Stimmung aufkommen. So ließen sich die Besucher zum Beispiel von der wundervollen ukrainischen Rapperin Alyona Alyona überraschen – teilweise sogar mit Kind auf den Schultern. 

Umso erstaunlicher ist, dass dies alles durch 14 festival-unerfahrene Messdiener und zwei Oberministranten auf die Beine gestellt wurde. Alles begann im Jahr 1981 aus einer Laune heraus. Die 14 Messdiener und ihre zwei Oberministranten planten ein Open-air. Ein einfaches Get-together mit Musik und Bier. Das Bedürfnis nach solch einem Event am Niederrhein war anscheinend so enorm, dass die Party ein voller Erfolg wurde und rund 1500 Leute kamen. So wiederholten sie das ganze Szenario und die Idee eines Festivals erwuchs. Dieses konnte jedoch nicht ohne die nötigen finanziellen Mittel stattfinden, sodass sich 50 Halderner dazu entschlossen, jeweils 500 Mark zu investieren. Das Ganze entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte, allerdings nicht finanziell. Zunächst ging es bergab und die finanziellen Ressourcen schrumpften, bis schließlich eine Privatbrauerei 1987 als Sponsor einsprang. Bis es jedoch soweit war, hielten alle Halderner sechs Jahre den Glauben ans Gelingen fest. Beeindruckend, wenn man bedenkt, dass niemand auch nur einen Cent an dem Ganzen verdiente. Es fällt schwer, sich das Ganze heute aus der Optimierungswahnperspektive vorzustellen. Nachdem sich die finanzielle Situation durch den Sponsor entspannte, ging es langsam bergauf und das Haldern Pop entwickelte sich zu der internationalen Größe, die es heute in der Festivalszene vertritt. Dass Stefan Reichmann nie enttäuscht liegt vielleicht auch daran, dass er sich selbst immer treu geblieben ist und nur die Bands spielen lässt, die er auch persönlich gerne hört. Hier wird kein Gedanke an den Kommerz verschenkt, was im Jahr 2019 fast unmöglich erscheint. Das weiß das Publikum auch sehr wohl zu schätzen, weshalb in diesem Jahr auch wieder das Miteinander deutlich zu spüren und sogar sichtbar war: Fast ohne Müll verließen die knapp 7000 Festivalbesucher den Zeltplatz. 

Quelle: Haldern Pop

Auch für den Musiker Gisbert zu Knyphausen war und ist das Haldern Pop ein fester Termin im Kalender. Schon zu Studienzeiten kam er selbst als Besucher gerne hierher und auch als Musiker erlebt er das Festival immer wieder wie eine Art des Nachhausekommens. 

Ebenso verhält es sich bei der belgischen Band Balthazar, die dieses Jahr ihren neuen immer noch bass- und streicherlastigen Sound vorstellten, aber auch mit afrikanischen und orientalischen Einflüssen begeisterten. Jinte Deprez, Leadsänger und Gründungsmitglied der Band, weiß die Qualität und die Art miteinander umzugehen bei solch einer Festivalgröße sehr zu schätzen, weshalb auch sie nicht das erste Mal auf dem Halderner spielten. 

Zwar war das Lineup mit den irischen Fontaines D.C. oder den britischen Idles dieses Jahr etwas härter als sonst, ließ aber auch sichtlich so manch eingefrorene Postpunkfanseele wieder auftauen und begeisterte auch die sonst eher auf Indie fixierten Besucher. 

Es scheint, als wäre alles etwas irreal, wer sich jedoch selbst davon überzeugen möchte, sollte sich unbedingt schon nach Tickets für das nächste Jahr umschauen. Wer allerdings bis dahin nicht warten kann, der kann sich auch von der kleinen Schwester des Haldern Pops, dem KALTERN POP, überzeugen lassen. Das findet Ende Oktober in Kaltern, einer 8000 Seelengemeinde in Südtirol, statt und hat ebenfalls einen solch ehrlichen Charme. 

 

Alle Infos unter: //haldernpop.com/

Autorin: Maike Huckschlag