Mein Freund, das Nikotin

Der Umgang mit dem Krankheitsbegriff Depression wird so inflationär benutzt, dass es schwerfällt zu unterscheiden, ob jemand wirklich erkrankt ist oder einfach nur durch eine schlechte Phase geht. Für die einen fangen scheinbare Depressionen bereits beim Katertief nach einer durchzechten Nacht an, für die anderen erst ab dem Moment, ab dem sie merken, dass sie ihr Leben nicht mehr auf die Kette bekommen. Ich für meinen Teil bin mir da auch nicht ganz sicher. Mein Leben verläuft in Episoden. In regelmäßigen Abständen von ca. vier bis sechs Wochen wechseln sich zwei Zyklen ab. Im ersten bin ich produktiv, habe eine aufgeräumte Wohnung, putze, verfolge soziale Kontakte und bin gerne unterwegs. Der zweite Zyklus hingegen ist mehr als das Gegenteil. Ich komme kaum aus dem Bett, antworte nicht mehr auf Nachrichten, meine Wohnung ist dreckig und unaufgeräumt und alles fühlt sich an als würden mich tonnenschwere Betonklötze an den Füßen hinabziehen. In solchen Momenten bin ich immer froh, wenn ich Verpflichtungen habe, die mich aus meinem Hängertum befreien und die endlose YouTube-Schleife unterbrechen. Sei es das Schreiben, der Hund, der vor die Tür will oder eine Hausarbeit, die abgegeben werden möchte und mich dazu zwingen meinen fetten Arsch hochzukriegen. Hätte ich den stinkigen Vierbeiner nicht, würde ich in solchen Phasen gar nicht vor die Tür gehen. Aber kann man da schon von einer depressiven Verstimmung, geschweige denn von Depressionen sprechen? Ich habe das immer damit beantwortet, dass ich einfach ein inkonsequenter Mensch bin, der viel träumt, aber nur wenig erreicht. Würde ich mich mehr anstrengen, könnte ich auch in meinen eigenen vier Wänden erfolgreich sein. Stattdessen zeigt sich die Stärke meines jeweiligen Zyklus in meinem Nikotinkonsum.

Bisher hatte ich einfach immer das Glück, dass diese Phasen von alleine nachgelassen und ich aus irgendeinem Grund wieder Energie gefunden habe, um mich um die alltäglichen Dinge des Lebens kümmern zu können. Sollte es mir jemals so schlecht gehen, dass diese Phasen nicht wiederkommen, bin ich am Arsch. So richtig am Arsch.

Je mehr Struktur mein Leben hat, desto leichter komme ich klar. Aber diese Zeiten von Homeoffice, Social Distancing und vor allem ohne mal richtig die Sau raus zu lassen und Minimum zehn Stunden im Club zu verschwinden, setzen meiner Psyche doch mehr zu, als ich zugeben will. Ich spüre einen inneren Druck, der sich wie ein unangenehmes Jucken im Gehirn anfühlt. Und ich kann nichts, aber auch wirklich nichts dagegen tun. Will ich arbeiten oder aufräumen, um das Gefühl zu haben produktiv gewesen zu sein, klappt es nicht, weil ich die Kraft dazu nicht finde. Also setze ich mich wieder rauchend ans Fenster und schaue in den tristen Innenhof. Lausche den Klängen von hochwertig produzierten TikToks über meine Kopfhörer von Leuten, die zum Teil zehn Jahre jünger sind als ich. Das frustriert mich noch mehr. Ich fühle mich fehl am Platz, fühle mich unter Druck gesetzt in einer Endlosschleife, aus der ich nicht herauskommen kann. Wie der Gegenpart zu den Erfolgsgeschichten, in denen es immer heißt, dass es nur einer von zehn schafft und ich genau die neun anderen bin. Dass ich es einfach nicht schaffen werde, wie sehr ich mich auch anstrenge. Gott sei Dank habe ich das mit dem Kiffen sein lassen, sonst würde ich noch weniger schaffen. Stattdessen klopft mir das Nikotin jetzt gelegentlich auf die Schulter, sobald der geringste Stress einsetzt.

Fakt ist, ich muss einen Weg finden meinen Arsch hochzukriegen. Sport ist einer davon. Habe ich Laufen doch immer gehasst wie die Pest, habe ich jetzt wieder damit angefangen. Versprochen werden mir meditative Momente, ein freier Kopf und klares Denken – Bullshit. Man hasst sich währenddessen, kommt mit hochrotem Kopf nach Hause und stinkt wie ein Iltis. Aber wenn das Serotonin einsetzt, fühlt man sich zumindest für ein paar Stunden wie ein halbwegs liebenswerter Mensch. Und mit etwas Glück springt noch eine Sommerfigur für 2021 dabei rum. Die Aussichten sind also mehr als rosig. Und bis dahin habe ich ja noch meinen Freund, das Nikotin.

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Autorin:

Janna