Nachts allein nach Hause fahren – für Frauen zu gefährlich?

Allein nachts nach Hause zu fahren ist für viele Frauen mit Angst verbunden. Aber sind Frauen wirklich gefährdeter als Männer?

Ich sehe auf mein Handy. Es ist halb fünf am Morgen. Mit einem müden Blick steige ich allein in die Berliner U-Bahn. Der Waggon ist leer. An der nächsten Station öffnen sich die Türen. Eine Gruppe von Männern steigt ein. Sofort bin ich hellwach, setze mich gerade hin und drehe meine Musik lauter. Von nun an bin ich aufmerksam, verfolge jeden ihrer Schritte und Blicke. Die Situation scheint harmlos zu sein. Die nächste Station ist meine. Bis zur letzten Sekunde warte ich bevor ich aufstehe, damit mir auch
keiner der Männer folgt.

 

Dann stürme ich aus dem Waggon.

 


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Im Freien angekommen, bin ich nur fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt. Trotzdem renne ich die Hälfte des Weges. Permanent sehe ich mich um, ob mir auch keiner der Ausgestiegenen gefolgt ist. Hellwach und außer Atem komme ich schließlich in meiner Wohnung an und schwöre mir nie wieder allein mit der Bahn nach Hause zu fahren. Situationen wie diese kennen viele Frauen. Mit der Angst auf dem nächtlichen Heimweg haben einige zu kämpfen. Laut einem Bericht des Kinderhilfswerks Plan fühlen sich Mädchen und Frauen in den Großstädten Berlin, Hamburg, Köln und München nicht immer sicher. Jede der 1.000 befragten Frauen nannte mindestens einen Ort, an dem sie sich unwohl fühlt.  Aber müssen Frauen wirklich mehr Angst nachts auf der Straße haben als Männer?

Wer wird angegriffen?

Laut der Berliner Kriminalitätsstatistik wurden im Jahr 2018 rund 6900 Frauen in Berlin in der Nacht angegriffen, wobei es sich hauptsächlich um Sexualdelikte handelte. Insgesamt waren aber 61% der Opfer von Übergriffen Männer, wobei es sich hier eher um Straftaten gegen das Leben, Raub und Erpressung handelte. Auch im öffentlichen Nahverkehr werden Männer laut der Berliner Polizei häufiger Opfer von Straftaten, ausgenommen von Sexualdelikten, bei denen die Zahl der weiblichen Opfer dominiert. Natürlich müssen diese Zahlen auch mit Vorsicht betrachtet werden, da nicht jede Straftat angezeigt wird. Männer fühlen sich aber nicht unsicher, wenn sie allein nach Hause fahren. Wieso tuen es also Frauen?

Ursachen für die Angst bei Frauen

Der Sozialpsychologe Johannes Klackl von der Universität Salzburg kann sich vorstellen, dass Frauen mehr Angst im Dunkeln haben, weil die Gewalt, die sie erleben beziehungsweise, die sie eventuell erleben werden, besonders schwerwiegend ist. Sie greift die psychische Integrität der Opfer langfristig an. Zudem könnte es seiner Meinung nach sein, dass Frauen generell nicht gern in Kontakt mit Gewalt kommen wollen und aus diesem Grund den nächtlichen Nachhauseweg meiden. Denn wenn ein Mann in eine Schlägerei gerate, passe dies zu  den typischen männlichen Stereotypen. Bei Frauen sei das anders: Körperliche Gewalt ist nicht Teil des typisch weiblichen Stereotyps, also leiden Frauen nicht nur durch die Gewalt selbst, sondern zusätzlich dadurch, dass sie nicht dem weiblichen Stereotyp entsprechen. Ein dritter Erklärungsansatz wäre seiner Meinung nach auch das patriarchalische Frauenbild, welches Frauen als Schutzbedürftige sieht. Dieses Bild kann sich auch in den Köpfen der Frauen festgesetzt haben, so dass sie glauben sie seien nachts in einer größeren Gefahr. Dabei wird die Schutzbedürftigkeit laut Johannes Klackl genutzt um Frauen zu kontrollieren.

Doch nur weil sich Frauen in der idealen Welt allein in der Nacht keiner höheren Gefahr als Männer ausgesetzt fühlen sollten, ist dies nicht unbedingt Realität. Aus diesem Grund ist es ratsam vorher Strategien für solche Situationen zu entwickeln, beispielsweise in Selbstverteidigungskursen. Doch auch Männer und andere Personen auf der Straße können zu einem verstärktem Sicherheitsgefühl von Frauen beitragen, indem sie ihre eigenen Handlungen hinterfragen. Denn Frauen sollten auf der Straße oder in den öffentlichen Nahverkehrsmitteln abends keine Angst haben müssen.

Weiterführende Links

Kennst du schon Heimwegtelefon e.V.? Dort kann man anrufen, wenn man einen Begleiter nach Hause braucht.
Ehrenamtliche MitarbeiterInnen telefonieren so lange mit dir bis du sicher zu Hause bist.

 


Autor:

Mitglied Marie SteffensMarie