Pionier, Patriarch, Ikone der Schwulen-Bewegung
Am 14. Mai wäre Magnus Hirschfeld 150 Jahre alt geworden. Wir von couchFM feiern das mit einem Porträt des großen Sexualforschers
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GESPRÄCHSSTOFF
VON Florenz
Geboren am 14. Mai 1868 in Kolberg (heute: Kołobrzeg) an der Ostsee, wuchs Hirschfeld in einer orthodoxen jüdischen Großfamilie auf. Nach einem abgebrochenen Philologiestudium studierte er auf Wunsch seines Vaters, der selber Arzt war, Medizin. Nach der Promotion ließ sich Hirschfeld 1984 als Spezialist für Naturheilkunde in Magdeburg nieder. Zwei Jahre später zog er nach Berlin, genauer gesagt, nach Charlottenburg, das damals noch nicht zu Berlin gehörte.
Über die Gründe für Hirschfelds Umsiedlung können wir nur mutmaßen. Vielleicht wegen des sogenannten “Kunstfehlerprozesses”, bei dem man Hirschfeld grobe Behandlungsfehler vorwarf, nachdem ein Patient von ihm an einer Blutvergiftung gestorben war. “Vielleicht war Magdeburg dem jungen Schwulen aber auch einfach zu langweilig”, sagt Ralf Dose. Er ist Mitglied der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, die das verschmähte Erbe des jüdischen Sexualforschers bewahren will.
Schon während des Studiums entwickelte Hirschfeld ein ausgeprägtes Interesse an der menschlichen Sexualität. Als Erweckungserlebnis schildert er in seiner Autobiographie Von einst bis jetzt (1922/23) die Zur-Schau-Stellung eines Homosexuellen in einer Vorlesung des Berliner Psychiaters Emanuel Mendel (1839-1907). Dass Mendel den Mann für “unzurechnungsfähig” erklärte und ihn in eine Reihe mit Pädophilen und Exhibitionisten stellte, empfand Hirschfeld als schreiende Ungerechtigkeit. Er machte die Sexualaufklärung zu seiner Lebensaufgabe und kämpfte fortan für die Rechte von Schwulen, Lesben und aller anderen „sexuellen Zwischenstufen“, wie er Menschen nannte, die nicht der heterosexuellen Norm entsprachen.
1897 gründete Hirschfeld zusammen mit seinem Verleger Max Spohr das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), das sich für die Entkriminalisierung der Homosexualität einsetzte. Nach Paragraph 175 des Strafgesetzbuches galten sexuelle Handlungen zwischen Männern als „widernatürliche Unzucht“ und wurden mit Gefängnis bestraft. Ein Jahr später legte Hirschfeld dem Reichstag eine Petition für die Abschaffung des sogenannten „Sodomieparagraphen“ vor. Sie scheiterte, wie auch alle weiteren Versuche, am Widerstand der Kirche und rechts-konservativer Parteien (der Paragraph 175 wurde erst 1994 offiziell abgeschafft).
1919 gründete Hirschfeld am nördlichen Rand des Tiergartens (ungefähr dort, wo heute das Haus der Kulturen der Welt steht) das Institut für Sexualwissenschaft. Die Machtergreifung Hitlers bedeutete für den Juden, Sozialisten und Homosexuellen Hirschfeld großes Unheil. Am 6. Mai 1933 wurde sein sexualwissenschaftliches Institut von einer Horde junger Nazis geplündert und verwüstet. Ein Augenzeuge berichtet im Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror (1933), wie eine Gruppe von etwa 100 Studenten um halb zehn Uhr morgens in Lastwagen vorfuhren und, begleitet von Blasinstrument, Türen einschlugen, Dokumente und Teppiche mit Tinte beschmierten, Bücher mitnahmen, Bilder aus dem Fenster warfen und mit ihnen Fussball spielten.
Hirschfeld hat die Schändung seines Instituts zum Glück nur aus der Ferne erlebt. Als die Bücher der hauseigenen Bibliothek, zusammen mit einer Büste Hirschfelds, auf dem Bebelplatz verbrannt wurden, hielt er sich im französischen Exil auf. Von dort kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Hirschfeld starb 1935 an seinem 67. Geburtstag in Nizza.
2018 wäre Hirschfeld nicht nur 150 Jahre alt geworden, auch das Institut für Sexualwissenschaft würde, wenn es die Nazis nicht zerstört hätten, im nächsten Jahr 100-jähriges Bestehen feiern. Aus diesem Anlass gibt es in Berlin zahlreiche Veranstaltungen.
Am Montag, den 14. Mai, Hirschfelds Geburts- und Sterbetag, lud das Haus der Kulturen der Welt zu einem Festakt.
Im Foyer des Charlottenburger Rathauses (Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin) liegt noch bis zum 13. Juni Hirschfelds Gästebuch aus der Exilzeit (1933-1935). Die Ausstellung ist unter der Woche zwischen 8 und 18 Uhr zugänglich.
Außerdem widmet sich eine neue Ausstellung im Museum der Dinge (Oranienstraße 25, 10999 Berlin) der Wirkung erotischer Gegenstände. Gezeigt werden auch Exponate aus der Sammlung Hirschfelds, die den 6. Mai 1933 überlebt haben. Über die Ausstellung “Erotik der Dinge” senden wir in Kürze einen Kulturkompass.
Weitere Infos zu Hirschfelds Leben und Werk sowie aktuellen Veranstaltungen findet Ihr auf der Homepage der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft unter www.magnus-hirschfeld.de.