Kopfsteinpflaster

Ordnung muss sein. Seitdem er angehalten wurde, fährt couchFM-Redakteur Florenz nur noch auf Straße – auch wenn er, wie hier am Reichstagsufer, eine Gehirnerschütterung riskiert | Foto: Alexander Curth

“Wen ick zweema anhalte, zahlt”

Kein Licht, betrunken, bei Rot über die Ampel – die Liste, warum einen die Polizei vom Fahrrad holen kann, ist lang. Unser Autor Florenz wurde gestoppt, als er am Reichstagufer auf dem Bürgersteig gefahren ist. Doch nicht nur er musste blechen. Auch sein geliebtes Fahrrad hat Federn gelassen… Ein Kolumnen-Beitrag zum couchFM-Radmagazin “Adel mit Radel”

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Ich gestern mit dem Rad auf dem Nachhauseweg, höre, na, was denn sonst, couchFM. Vorbei da am S-Bahnhof Friedrichstraße. Am Reichstagsufer, eine Einbahnstraße mit fiesem Kopfsteinpflaster, wechsle ich auf den Gehsteig. Auf halbem Weg zum ARD Hauptstadtstudio stehen drei Polizisten in weißen Polo-Shirts. Einer sieht mich, tritt vor und signalisiert mir, ich solle anhalten. Ich reflexartig die Kopfhörer aus den Ohren.

“Was denken Sie, warum ich Sie angehalten habe?”, fragt mich der Polizist.

“Keine Ahnung”, sage ich achselzuckend.

“Na, wo sind wir denn hier?”

“Wo hier?”, frage ich zurück.

“Na hier.”

“Am Spreeufer”, sage ich.

“Und weiter?”

“Auf einem Bürgersteig?”

“Na also”, sagt er. “Und Sie sind gerade mit einem Fahrrad auf dem Bürgersteig gefahren. … Das stellt eine Gefahr –”

Ich unterbreche ihn: “Bitte ersparen Sie mir die Belehrung und geben Sie mir das Ticket.”

Der Beamte nickt, zückt ein Notizbuch, nimmt meine Personalien auf und reißt das Papier vom Block. Zehn Euro! Ich nestle mein Portemonnaie aus der Tasche und gebe ihm missmutig das Geld.

„Sie dürfen weiterfahren“, sagt er jovial, während er den Schein in seiner Tasche verstaut. “ABER bitte auf der Straße”.

Trotzig schiebe ich mein Fahrrad aufs Pflaster, steige auf, drehe mich noch einmal zu ihm um, um einen letzten Fluch abzusetzen, und trete in die Pedale.

Ich bin noch ganz in Gedanken, als es, keine 100 Meter weiter, ziemlich laut scheppert….

Ich fahre ein altes, braunes Puch Exquisit, mit dem Flix-Bus aus Österreich importiert, nachdem ich für ein Erasmus-Semester in Wien war. Alles Original, der Sattel, noch mit Sprungfedern, fällt fast auseinander, die Handgriffe aus vergilbten Gummi – und vorne, wie ein Eisbrecher, ein schöner, großer, runder, verchromter Frontscheinwerfer.

Und dieser Scheinwerfer liegt jetzt hinter mir auf der Straße. Aus der Fassung gebrochen. Einfach so. Eine Frau auf dem Mountain-Bike hält an. Sie bückt sich, hebt das Licht auf und gibt es mir. “Danke”, murmle ich und schaue ungläubig auf das zerbrochene Ding. Ich wiege den Scheinwerfer in meiner Hand, überlege, ob ich weiter fahren soll. Ihn reparieren lassen? Eine neue Fassung besorgen?

War da was? Mein Fahrrad ohne Frontscheinwerfer. Hinten: der Reichstag mit Kuppel | Foto: Florenz Gilly

“Nein”, denke ich, “den Triumph gönnst Du ihnen nicht”. Drehe um. Fahre zurück in Richtung der drei Polizisten, die im Schatten eines Baumes stehen und beobachten, wie ich über den Bürgersteig auf sie zukomme. Bremse. Komme zum Stehen. Steige ab. Trete auf den Polizisten zu, der mir das Knöllchen verpasst hat. Und drücke ihm mein Licht in die Hand. „Hier, ham’se sich verdient. Könn’se Sie sich auf den Schreibtisch stellen. Als Trophäe.“

Verdutzt guckt mich der Polizist an. Ich steige wieder aufs Rad und fahre los. Sein Kollege ruft mir noch irgendwas nach, das ich nicht verstehe.

Am nächsten Morgen fahre ich am U-Bahnhof Pankstraße über das breite Stück Bürgersteig vor den Uferstudios. Kommt mir, kein Spaß, ein untersetzter Polizist entgegen.

“Halt”, sagt er.

In vorauseilendem Gehorsam steige ich ab: „Nich’ schon wieder!“, rufe ich, „ich wurd doch erst gestern“ – der Polizist unterbricht mich: „Na siehste, und jetzt fragste Dich, warum dit imma Dir trifft?“ Resigniert zucke ich mit den Schultern und mache schon Anstalten, meinen Geldbeutel zu zücken. „Na, warte ma”, der Polizist. “Heute lass’ ick Dir zieh’n, aber wen ick zweema anhalte, zahlt!“

Dankbar steige ich ab und schiebe mein Fahrrad noch, als er längst aus dem Sichtfeld ist.
 
Fun fact: Um das Foto für diesen Beitrag zu machen, habe ich die Szene nachgestellt und bin immer und immer wieder über das Kopfsteinpflaster am Reichstagsufer gefahren. Rückenschmerzen und eine saftige Acht in meinem Hinterrad inklusive. Das Urteil des Fahrradhändlers: “Soll ich ehrlich sein? Kauf’ Dir ein neues!” Weil ich aber sehr an meinem Drahtesel hänge, versuche ich’s lieber selbst. Unter professioneller Anleitung bei der TU-FahrradWerkstatt, über die Gesa im Magazin berichtet hat. Und so lange mein altes Rad außer Gefecht ist, steige ich um auf eines der Leihfahrräder, die überall in der Stadt herumstehen. Mehr dazu in Pias Beitrag übers Bike-Sharing.


Florenz

Autor:
Florenz