Schattenseiten der glamourösen Zirkuswelt

Abseits der Bühne

zwei Frauen im Gespräch
couchFM Reporterin Friedericke Bahners (li.) und Artistin Gwenadou, Schröckleleock, Bild: Kristina Kerber

 

Scheinwerfer, Glitzersteine, atemberaubende Kunststücke, Perfektion. Das sind einige erste Assoziationen, die bei dem Wort „Zirkus“ in den Sinn kommen. Doch was steckt dahinter und wie schmerzlich wäre es auch Sexismus, Gewalt und Angst in die Liste mit aufzunehmen?

 

 


Gwenadou Schröckleleock ist eine junge Frau, Mitte 20. In der Varietészene großgeworden, wusste sie schon seit ihrem vierten Lebensjahr, dass sie für immer Teil dieser bleiben wollen würde. Sie ist professionelle Hulahoopartistin, tourt quer durch Europa, ist viel unterwegs.

Mensch mit Hula-Hoop-Reifen
Gwen auf der Bühne; Bild: Sebastian Derix

In dem ersten Gespräch mit ihr bin ich nicht frei von Vorurteilen. Ich frage mich, was das wohl für eine Riesenverantwortung sein muss, die Familientradition fortzuführen. Ich möchte herausfinden, ob sie sich dazu gezwungen fühlt. Doch dem ist nicht so und ich bin schnell begeistert von ihrer Leidenschaft. Plötzlich sind andere Fragen spannender geworden. Wir sprechen über die sexualisierte Darstellung von Frauen im Zirkus und Sexismus, die sexuelle Übergriffigkeit, die aus ihr resultiert. Ich bin überwältigt von den Erlebnissen, die Gwenadou bedauerlicherweise machen musste. Gleichzeitig liegt es auf der Hand, dass es eben so ist, wie es ist, denke ich mir im Nachhinein; es ist eines der Armutszeugnisse unserer Gesellschaft Frauenkörper zu sexualisieren und auch ohne Erlaubnis anzufassen.

„Auf einmal hatte ich eine Hand in meinem Ausschnitt“

Viele Jahre hat Gwenadou über die Vorfälle geschwiegen, es einfach so hingenommen. Selbst innerhalb der Szene gibt es kaum Kommunikation über die verbale und physische Gewalt. Erst jetzt beginnt sie die Übergriffe der vergangenen Jahre für sich und mit anderen aufzuarbeiten. Vermutlich musste auch erst einmal Zeit verstreichen, um überhaupt zu begreifen, dass etwas falsch läuft. Oft hat Gwenadou sich selbst die Schuld zugewiesen und Vorfälle heruntergespielt und die Täter:innen in Schutz genommen. Sie ist der Ansicht, dass das Publikum oft nicht versteht, dass die Artist:innen auf der Bühne nur einen Charakter spielen und Menschen mit Gefühlen sind. Gwenadou ist überzeugt davon, dass eine Rocklänge niemals als eine Einladung verstanden werden darf, übergriffig einem anderen Menschen gegenüber zu sein.

Für Gwenadou ist klar, dass es nicht sie ist, die längere Kleider tragen sollte, sondern dass das Umdenken im Publikum erfolgen muss. Bild: Merve Adimlar

Und doch passiert es immer wieder, dass sie angefasst wird oder sich sexistische Bemerkungen anhören muss. Ich frage mich, welche Konsequenzen die Artist:innen für sich selbst daraus ziehen sollten. Für Gwenadou ist klar, dass es nicht sie ist, die längere Kleider tragen sollte, sondern dass das Umdenken im Publikum erfolgen muss. Sie mag ihr Kostüm, sie mag ihren Charakter auf der Bühne. Auf Freizügigkeit zu verzichten wäre nicht der richtige Schritt, gleichzeitig würde das auch ein weiteres Problem erzeugen; denn abgesehen davon, dass sich knapp bekleidete Frauen im deutschen Kabarett und Varietézirkus besser verkaufen, sind kurze Outfits auch besser zum Arbeiten. Letztendlich ist es schwierig in bodenlangen Kleidern zu choreografieren. Entscheidend ist also eigentlich nur, dass die Künstler:innen selbst darüber entscheiden dürfen, was sie auf der Bühne tragen möchten. Hierfür fordert Gwenadou mehr Autonomie und einen Perspektivenwechsel der Theater und Varietés. Momentan ist die Szene alles andere als inklusiv, beispielsweise werden übergewichtige Artist:innen meistens in humoristischen Rollen zugeschrieben.

„Wenn du dick bist, dann bist du witzig“

Je mehr Kurven, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit Jobangebote zu erhalten, „mal eine lustige Nummer“ zu machen. Der Druck hineinzupassen ist enorm. Die Stimmen der Artist:innen werden zwar lauter, aber auch die Theater und das Publikum müssen hier die Veränderung wollen, damit sie durchgesetzt werden kann. Es kann nicht nur von einer Seite geschoben oder gezogen werden.

In unserem Gästezimmer sensibilisiert Gwenadou für die Problematik. Ihre persönlichen Geschichten sind berührend. Berichte über sexualisierte Gewalt innerhalb und außerhalb der Szene.

 

 

 

 

Gwen im Studio des MIZ Babelsberg, Bild: Kristina Kerber

 


Weiterführende Links: 

  1. Gwenadou Schroeckleloeck’s Webseite
  2. Kathrin Wagner’s Webseite

 


Autorin:

Portrait von couchFM Mitglied Friedericke

Frieda