Die feministischen Proteste an der Klagemauer in Jerusalem
Die “Women of the wall” sind jüdische Frauen, die für mehr Geschlechtergerechtigkeit an der Klagemauer kämpfen. Jeden Monat versammeln sie sich und singen gemeinsam und gegen die Schreie der Ultraorthodoxen an.
GESPRÄCHSTOFF
Jetzt anhören:
Als vor 30 Jahren modern-orthodoxe Jüdinnen aus den USA innerhalb ihrer Reisegruppe nach Israel reisten passierte etwas unglaubliches. Denn nachdem die Frauen kurzfristig den Ort ihrer Feier verlegen mussten, um den jüdischen Monatsanfang und den Abschluss ihrer Reise zu zelebrieren, wurden sie überwältigt. Sie waren nach Jerusalem gekommen, um dort unter anderem mehrere Torah Rollen an Synagogen zu spenden. Vorher wollten sie die Torah Rollen aber für ihr Gebet nutzen. Das Feiern im Hotel wurde ihnen untersagt. Der Hotelbesitzer bat darum, an einem anderen Ort zu feiern, aus Angst, dass sie zu viel Aufsehen erregen würden. Er befürchtete womöglich sein Kaschrut-Zertifikat (die offizielle Bescheinigung, dass traditionelle religionsgesetzliche Vorschriften, der Halacha eingehalten werden) zu verlieren. Sie dachten sich nicht viel dabei. Unaufgeregt entschlossenen sie sich gemeinsam an die Klagemauer zu gehen. Dort sangen und beteten sie. Die Gegenreaktion war enorm. Sie wurden angeschrien, sie wurden verflucht, sie wurden angespuckt. Stühle flogen durch die Luft. Zwei Frauen mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Durch diese Gewalterfahrung wurde den Frauen die tief verwurzelte Geschlechterungleichheit innerhalb ihrer Religion bewusst. Die Frauenrechtsorganisation “Women of the wall” wurde ins Leben gerufen.
Ein Sicherheitszaun zum Schutz
Eine der Frauen ist Dana. Die junge Israelin wird im November 2021 Rabbinerin. Den “Women of the wall” hat sie sich vor über 13 Jahren angeschlossen. Damals nicht aus religiösen Gründen, sondern als zivile Demonstrantin aus Solidarität zu den Frauen. Dana berichtet über die Ungerechtigkeit an der Klagemauer. Sie erzählt, dass der eingezäunte Bereich für die Männer dreimal größer ist, als der für Frauen. Es ist oft unangenehm voll. Männer erhalten Zugang zu allem, was sie möglicherweise zum Beten gebrauchen könnten (Torah-Rollen, Gebetsschals, Gebetbücher, Gebetsriemen), Frauen nicht. Dreimal am Tag finden öffentliche Gebete auf der Seite der Männer statt. Für Frauen gibt es solche Angebote nicht. Während im Männerbereich rund 150 Torah Rollen zum Verleih bereitstehen, gibt auf der Seite der Frauen keine einzige. Insgesamt wird von den Frauen erwartet, dass sie schweigen. Nach dem jüdischen Gesetz ist das Singen an der Klagemauer oder auch das Lesen aus der Torah für Frauen jedoch gar nicht verboten. Abgesehen davon gab es eine Zeit, in der es gar keinen Zaun zwischen Frauen und Männern gab. Die Situation ist in den letzten Jahrzehnten angespannter geworden, die Ultradoxie immer extremer. Denn es gab schon eine Zeit, in der die “Women of the wall” weniger Widerstand erfuhren.
“Die Ultradoxie ist beinahe besessen geworden Fragestellungen zur Sittsamkeit und zur Unterdrückung von Frauen zu klären.”
Dana berichtet, dass es Straßen in ultraorthodoxen Vierteln gibt, in denen Frauen auf der einen Straßenseite und Männer auf der anderen Straßenseite gehen müssen. Sie erzählt von Vätern, die ihre Töchter nicht in die Schule begleiten wollen, weil sie befürchten den Freundinnen gegenübertreten zu müssen. Es gibt sehr strenge Dresscodes, die genau festlegen, was Frauen tragen dürfen und was nicht. Die Rabbiner dieser Viertel sind sehr autoritär und treffen alle Entscheidungen. Auch schicken sie Frauen und Mädchen ihrer Gemeinden an die Klagemauer, um die Zusammentreffen der “Women of the wall” zu sabotieren. Anstatt in die Schule zu gehen, werden Schulbusse mit jungen Mädchen zur Klagemauer gefahren. Mit dem Ziel die “Women of the wall” anzuschreien und dadurch beim beten zu stören. Die ultraorthodoxen Rabbiner propagandieren gegen das egalitäre Judentum und religiösen Feminismus. Sie schüren Hass. Es klingt es merkwürdig, dass ausgerechnet Frauen, andere Frauen dafür beschimpfen mehr Rechte haben zu wollen.
Für Dana sind diese Frauen oft herzzerreißend. Denn der einzige Moment, in dem die Stimmen dieser ultraorthodoxen Frauen gehört werden, und sie nicht in völliger Stille beten ist, wenn sie versuchen, die Stimmen anderer Frauen zu übertönen. Es ist ein bedrückendes Gefühl, mit so viel Aggression konfrontiert zu werden. Manchmal macht es Dana müde, aber es fehlt ihr nicht an Motivation. Sie ist trotzdem zuversichtlich, dass kommende Generationen den Kampf für Religionsfreiheit weiterführen werden. Dennoch wird es noch einige Zeit dauern, in der die Frauen geduldig weiter kämpfen müssen. Denn die ultraorthodoxen Gemeinden arbeiten mindestens genauso aktiv der feministischen Organisation entgegen. So ereignet sich jedes mal aufs Neue ein lauter und angespannter Moment zwischen den beiden Gruppen. Der Gesang ist wunderschön, doch bleibt unklar, ob vor Freunde gelacht oder vor Schmerz geweint werden sollte. So quälend ist es, während des Hörens der berührenden Klänge den Schreien der anderen zuhören zu müssen.
Weiterführende Links
Hier findest du einen weiteren Artikel zu den “Women of the Wall”.
Autorin: