Sofi Tukker im Interview

couchFM-Reporter Thomas mit Sophie Hawley-Weld. Fotos: Pauline Weise.

“So global wie nur möglich”

Mehrsprachig, energiegeladen, bassbetont: Sofi Tukker tanzen mit einem Millionenpublikum. Auf der ganz großen Pop-Bühne angekommen fühlt sich Sängerin Sophie Hawley-Weld aber noch nicht.


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“Dancing on the People” heißt die aktuelle EP des Duos Sofi Tukker, und Sängerin Sophie Hawley-Weld macht kein Geheimnis daraus, dass dieser Titel im wortwörtlichen Sinn zu verstehen ist. Kaum zwei Songs vergehen, ehe sie beim Konzert im Berliner Tempodrom von der Bühne ins Publikum springt und sich “auf den Menschen tanzend” von den Händen der Besucher*innen tragen lässt. Es ist der fulminante Auftakt ihrer “letzten Show des Jahrzehnts”, wie sie und Kollege Tucker Halpern im Vorfeld angekündigt hatten – ein Jahrzehnt, das ihre angedachten Karrierewege auf den Kopf gestellt hat.


Das Cover der EP “Dancing on the People”

“Ich wollte als Tanzlehrerin arbeiten und nach Brasilien ziehen”, erzählt Hawley-Weld im Interview mit couchFM. Halpern hatte Basketball auf hohem Niveau gespielt, ehe ihn eine Verletzung stoppte. Zufällig trafen sie sich im Rahmen eines Konzertabends im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Sie interpretierte Bossa-Nova-Songs auf Portugiesisch; er legte ein House-DJ-Set auf. Genau diese beiden Welten bringen sie als Sofi Tukker seit jeher zusammen. Den immensen Erfolg seit ihrer Erstveröffentlichung “Soft Animals” (2016) belegen einige Auszüge aus ihrer Vita: Sie haben zwei Grammy-Nominierungen erhalten, einen Remix für Billie Eilish produziert, mit “Best Friend” den Soundtrack zur Präsentation des “iPhone X” von Apple geschrieben.

Diese Ereignisse fallen in eine Phase, in der sie über einen Zeitraum von anderthalb Jahren hinweg ausschließlich auf Tour gelebt haben. “Man realisiert, dass nirgendwo das Zentrum des Universums ist”, beurteilt die 27-Jährige. “Wir fühlen uns an vielen Orten zu Hause.” Dem Rausch der lauten und energiegeladenen Shows stehen allerdings die Erfahrungen von zehrenden Nächten und Jetlag gegenüber, und auch die Auftritte an sich haben für Hawley-Weld eine Herausforderung dargestellt. Schließlich sieht sie sich als eine “eher ruhige” Person, die über eine Begeisterung für die Intimität der Bossa-Nova-Melodien zur Musik gekommen ist. Der Schwung und die Positivität ihrer tanzbaren, bassbetonten Pop-Hymnen birgt gewiss die Gefahr einer überzogenen Erwartungshaltung, eben diese Charakteristika in Gesprächen mit Fans und Presse selbst verkörpern zu müssen. Die Sängerin sieht sich gut gewappnet, da sie sich als fundamental fröhlich und optimistisch beschreibt – und weil sie ihren tatsächlichen Gemütszustand nicht versteckt. Was es bedeutet, authentisch zu sein, hat sie früh gelernt. Prägend war ihre Schulzeit an einer internationalen Schule im italienischen Duino. Ihre Freunde hat sie fortan auf verschiedenen Kontinenten besucht. “Mit jedem neuen Ort haben sich die Auffassungen geändert über das, was gerade ‘angesagt’ ist. Man konnte gar nicht Schritt halten. Das hat mir gezeigt, dass ich für mich selbst entscheiden muss, was ‘cool’ ist, und was zu mir passt.”

Welttournee führt im neuen Jahr nach Tallinn, Vilnius und Bratislava

Diese Botschaft wollen Sofi Tukker weitergeben – und mit ihren Konzerten einen Ort schaffen, der vielfältig, farbreich und inklusiv ist. Hawley-Weld: “Solche Orte werden unbedingt gebraucht. Die Scham vieler Menschen über ihr Aussehen, ihren Charakter, oder die Umgebung in der sie aufgewachsen sind spiegelt sich wider in der beklemmenden, düsteren Pop-Musik, die zur Zeit gespielt wird.” Auf ihren US-Konzerten haben sie daher für Charity-Organisationen gesammelt, die Maßnahmen zur Stärkung der mentalen Gesundheit von Jugendlichen umsetzen. Mit der Devise, alle Menschen zu erreichen, die sich ihrer Musik verbunden fühlen, bringen sie ihre Tour im neuen Jahr nach Osteuropa in Städte wie Tallinn, Vilnius und Bratislava, die auf internationalen Konzertreisen populärer Bands nicht selten ausgeschlossen werden. “Es ist unser Selbstverständnis, so global wie nur möglich zu sein”, betont Hawley-Weld – und schildert voller Enthusiasmus die Dschungel-inspirierten visuellen Welten, in deren Licht die Auftritte der laufenden Welttournee getaucht werden.

Foto: Pauline Weise

“Sofi Tukker ist unser ganzes Leben”, erklärt die Sängerin glaubwürdig. “Wir arbeiten sehr viel.” Gerade erst haben sie und Halpern ein Haus in Los Angeles gekauft, in dem sie ein Studio einrichten. Im Januar reisen sie nach Florida an den Strand, die größte Inspirationsquelle ihrer Musik. Sinnbildlich für ihren Ehrgeiz ist die Entstehung ihrer aktuellen EP. Nur da sich Hawley-Weld auf Tour ihren Fuß gebrochen hatte, mussten sie für zwei Monate aussetzen, und nahmen in dieser Zeit sechs Songs auf. Aus dem neuen Material stechen vor allem die eingängigen Tracks “Swing” und “Purple Hat” hervor; letzterer hat zuletzt die Dance-Charts in den USA angeführt. Bis sie sich auf der ganz großen Pop-Bühne angekommen fühlen, werde es aber noch etwas dauern, so die Sängerin. “Die Grammy Awards waren für uns ein besonderes Ereignis. Doch als wir bei der Verleihung waren, gab es einen Moment, in dem wir gedacht haben: Was haben wir hier eigentlich zu suchen? Ich habe nicht das Gefühl, dass ich sagen kann: ‘Wir haben es geschafft’. In dieser Hinsicht sind wir immer noch Kinder. Es gibt so vieles, das wir noch erreichen wollen. Und ich möchte mein volles Potenzial ausschöpfen – als Mensch, und als Künstlerin.”

Die EP “Dancing on the People” ist bei Ultra Records erschienen.

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Musikvideo zu “Drinkee”

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Autor:

DelilahThomas