10 Jahre nach Fukushima

Auf der Demonstration Kazaguruma Berlin 2021 in Gedenken an die Atomkatastrophe in Fukushima

Demozug 10 Jahre nach Fukushima-Banner
Demozug 10 Jahre nach Fukushima-Banner von vorn

“Von Anfang an war unsere Kritik an Atomanlagen auch verbunden mit dem Traum von einer ganz anderen Gesellschaft: Solidarisch, nachhaltig, schön halt.” (Anti-Atom Plenum Berlin)

 

Am 11.03.2021 jährt sich einer der größten Nuklearkatastrophen zum zehnten Mal: Der Supergau in Fukushima, nach Tschernobyl der bekannteste Fall eines Atomkraft-Unglücks. CouchFM Reporterin Victoria hörte sich auf der Kundgebung von Kazaguruma um und führte unter anderem Interviews mit Kajikawa Yu (Sayonara Nukes Berlin) und Künstler Michiyasu Furutani. 

 

“In einem Menschen verlassenen Stadtteil in Fukushima sah ich 2 Jahre nach dem Supergau in einem kleinen Büro Zeitungen vom 11. März 2011 hochgestapelt, die nie ausgetragen waren. Sollten sie weitere 24.000 Jahre dort liegen? Ungelesen und unbeachtet. Man kann nicht mit Schreckensbildern im Kopf weiterleben. Um sie zu verdrängen, tütet man sie in schwarze Plastikbeutel ein oder schüttet sie heimlich ins Meer. Ist der Ozean eine riesige Waschmaschine, die soviel tödlich vergiftete Schmutzwäsche reinigen kann?”,

sagt Yoko Tawada auf der Demo Kazaguruma, auf der sich japanische und deutsche Atom-Gegner*innen anlässlich der Atomkatastrophe jährlich zusammenfinden, um einerseits der Menschen und der Natur zu gedenken, die unter den Langzeitfolgen des Unfalls leiden, andererseits eine Energiewende in der Politik einfordern. Yoko Tawada weist in ihrer Lesung auf eines der aktuellen Probleme in Fukushima hin: Was tun mit all dem kontaminierten Wasser aus dem AKW, für das der Platz zur Lagerung knapper und knapper wird? Wie sollen die radioaktiven Brennstäbe, die noch immer unter dem Schutt liegen, sicher geborgen werden?

Kazaguruma, Windmühlen für Erneuerbare Energien

"Don't forget Fukushima"-Transparent auf dem Boden
“Don’t forget Fukushima”-Transparent auf dem Boden

Kazaguruma: das japanische Wort für Windmühle: Es steht symbolisch für die Forderung der Anti-Atom-Demonstrant*innen nach Energiegewinnung durch Erneuerbare bzw. Regenerative Energien. 

Es ist windig und kalt, ein guter Tag für die zahlreichen Papier-Windräder, die von den ca. 250 Atomgegner*innen am Brandenburger Tor in die Luft gehalten werden. Mit ihrer gelben Farbe fallen sie auf: Sie stehen für eine Alternative zur Atom- und Kohleenergie: “Atomkräfte ist als Atomenergie Träger nicht akzeptabel, es ist zu gefährlich. Das heißt wir müssen auf erneuerbare Energie setzen. Dafür braucht man nur politischen Willen: Einen starken Willen, das zu realisieren.” (Kajikawa Yu)

 

Yu uns Furutani auf der Anti-Atom-Demo
Yu und Furutani auf der Anti-Atom-Demo

Der Super-Gau von Fukushima

Nach einem Tsunami und dem großen Tohoku Erdbeben  am 11.03.2011 kommt es zu Störungen im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Nicht zuletzt durch menschliches Versagen, die Kühlung der Reaktoren einzuleiten, kommt es zu Wasserstoff-Explosionen sowie insgesamt 3 Kernschmelzen in den Kernreaktoren 1 bis 3. Die Folgen der radioaktiven Strahlung macht ein Leben in vielen Gebieten der Region immer noch nicht möglich, ca. 170.000 Menschen wurden damals evakuiert und Geflüchtete können nicht in ihre ehemaligen Wohnorte zurückkehren. Die Brennstäbe sind bis heute nicht geborgen, weil ein Risiko besteht, weitere Explosionen auszulösen. Dennoch sollen Bergungsarbeiten angeblich 2021 beginnen. 

Eines der aktuellen Problemen ist die Frage nach der Lagerung des kontaminierten Wassers – ca 1,2 Millionen Liter lagern mittlerweile in über 1000 Tanks auf dem Gelände. Der Platz zur Speicherung reicht voraussichtlich nur noch bis zum Jahr 2022. Es braucht also einen neuen Platz, denn trotz Dekontaminierung und Filterung bleibt das Wasser radioaktiv. Die Frage nach der (End)Lagerung führt immer wieder zu heftigen Diskussionen, aus Deutschland sind beispielsweise die Proteste aus Gorleben bekannt, es geht immerhin um die Suche eines sicheren Ortes für 1 Million Jahre. 

“Die japanische Regierung will trotz heftiger Proteste erlauben, es ins Meer abzuleiten.”, sagt Yu. Einfach ins Meerwasser abfließen lassen: Der Konzern Tepco, der das AKW Fukushima leitet und nach Fukushima teils verstaatlicht wurde sowie die japanische Regierung scheinen dies für eine gute Idee zu halten.

Obwohl die japanische Bevölkerung mehrheitlich gegen Atomkraft ist, ist die Regierung bestrebt, den Kurs Richtung Atomenergie weiterhin zu verfolgen. Während in Japan zwar die Atomkraftwerke 2013 heruntergefahren wurden, sollen Reaktoren wieder in Betrieb genommen werden: 2020 liefen 6 Reaktoren. Zwar kündigte früherer Umweltminister Koizumi Shinjirō 2020 eine Energiewende an, wie diese aussehen und wann sie kommen soll wurde jedoch nicht bekanntgegeben.

 

Atomausstieg in Deutschland

In Deutschland führe die Atomkatastrophe zu drastischen Veränderungen in der Klimapolitik. In einer Konferenz nach dem Super-Gau kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel an, “die erst kürzlich beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke” auszusetzen. Sie veranlasste ein Moratorium – die Sicherheitsüberprüfung von Atomkraftwerken. Daraufhin wurden acht Reaktoren sofort vom Netz genommen und der vorzeitige Ausstieg bis 2022 beschlossen. Am 30. Juni 2011 folgte das Atomausstiegsgesetz in Deutschland. Die AKWS wurden jedoch noch nicht komplett abgeschaltet, Kernkraft wird weiterhin als Brückenenergieversorgung verwendet.

Atomenergie deckt in Deutschland ca. 10%, sie kann also deckendflächend Co2 starke Technologien wie Kohle-Energie nicht ersetzen, dennoch werden Fördergelder in die Atomtechnik investiert. Atomfabriken in Gronau und Lingen laufen weiter, Uran wird im Abbaugebiet Wismut produziert und  Deutschland hat den weltweiten Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterschrieben – genau wie Japan.

“Atomenergie statt Kohleabbau” heißt es immer wieder von Atomkraft-Befürworter*innen und Lobby*isten: Atomenergie sei klimafreundlich, sogar der Retter angesichts der Klimaziele. Sie bringe außerdem noch Wohlstand und Wachstum, wichtig für die Zukunft energieintensiver Metropolen. Stand Up for Nuclear heißt z.B. eine Initiative aus Frankreich, die Atomenergie als die sauberste Art der Energiegewinnung bewirbt und sogar zu einem Nuclear Pride Day auffordert. 

Kernfusion wird als die zukunftsweisende Energietechnologie angepriesen, doch kritische Stimmen weisen immer wieder darauf hin, dass sie bis zum Fristende des Klima-Abkommens 2050 nicht ausgereift sein wird und somit für die Energiewende irrelevant sei. Trotzdessen wird weiterhin in die Kernforschung investiert: Laut  Bundesregierung wurden im Jahr 2020 rund 140 Mio. Euro für die deutsche Kernfusionsforschung ausgegeben. 

Die Kritik der Protestant*innen richtet sich allerdings nicht ausschließlich an Deutschland und Japan.

Es brauche es eine Internationalisierung der Anti-Atom-Bewegung – denn wie Yu sagt, “das ist nicht nur das Problem von Japan, sondern das betrifft alle in der Welt”. Daher solle der Baustopp neuer AKWs und Reaktoren sowie das Verbot von Atomenergie in die europäischen Verträge aufgenommen werden – denn momentan planen 14 europäische Staaten, die Atomenergie auszubauen oder in diese einzusteigen. 

 

10 Jahre nach Fukushima: Demo am 06.03.2021 am Brandenburger Tor

Kajikawa Yu, Begründerin der Kazaguruma Demonstration und Teil von Sayonara Nukes Berlin erzählte mir, warum sie Teil der Bewegung wurde. Nach der Katastrophe begann sie, die Lücken der japanischen Berichterstattung aufzufüllen:

“Ich bin Japanerin, die schon seit über 30 Jahren in Deutschland lebt und als der Fukushima-Unfall passiert war, war das für mich so ein Schock, dass ich dann zunächst nichts machen konnte und ich war dann so verwundert, dass die Nachrichten aus Deutschland viel präziser und detaillierter waren als was wir aus Japan direkt gehört haben und so habe ich angefangen, die Berichterstattung aus Deutschland ins Japanische zu übersetzen. Ich bin tief beschämt über die Regierung meines Heimatlandes, dass sie nicht ausreichend die Leute unterstützt, finanziell, medizinisch betreuen und auch moralisch. Sie wollen einen Eindruck erwecken, die Atomkatastrophe seit fast Geschichte.”

Furutani hält das Holz, Yu hält eine Rede auf der Bühne
Furutani hält das Holz, Yu hält eine Rede auf der Bühne

Dass Fukushima Geschichte werden soll, macht sich nicht nur daran bemerkbar, dass medienwirksam ein positives Image verbreitet wird, sondern dass bewusst Forschung zu den Folgeschäden der Reaktorunfälle verhindert wird: “Die Behörden haben ganz bewusst Forschung nicht vorangetrieben damit die gesundheitlichen Folgen unter den Teppich gekehrt werden könnenAls würde es keine zusätzlichen Leukämiefälle geben, keine zusätzlichen soliden Tumore, als würde Radioaktivität nicht seit 70 Jahren bekanntermaßen auch mit Nichtkrebserkrankung, Hormonkrankheit, Blindheit, Unfruchtbarkeit, genetischen Mutation in Verbindung gebracht werden. All das wird in Japan systematisch nicht untersucht.”, sagt Dr. Alex Rosen, Kinderarzt und Co-Vorsitzender des IPPNW Deutschland, Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs, der seit 10 Jahren die Folgen Fukushimas untersucht und auf die über 300 Studien zu Schilddrüsenkrebs der Fukushima Medical University verweist: Die einzige Forschung, die es im Zusammenhang mit der Atomkatastrophe in Fukushima gibt. In seinen Untersuchungen habe er z.B. festgestellt, “dass es weniger Mädchengeburten gab in Fukushima, in den Monaten nach dem Supergau, (…) dass eine höhere Anzahl von Frühgeburten, niedrigere Geburtsgewichte in den verstrahlten Gebieten stattgefunden haben. Und zwar nicht durch das Erdbeben oder den Tsunami, sondern ganz dezidiert in den Regionen, wo die Strahlung erhöht war.”

Statt in Forschung zu investieren, würde Fukushima medial in ein positives Licht gerückt, sagt Yu. Dafür werden z.B. die Olympischen Spiele eingesetzt: Weniger Realpolitik, mehr Symbolpolitik: Kanufahrer*innen sollen in Gewässern Fukushimas fahren, der Eröffnungslauf soll durch die Region führen und der Wasserstoff für den Feuerlauf soll auch aus Fukushima kommen.

 

Wozu wird auf Atomenergie gesetzt?

Für die Demonstrierenden ganz klar: “Sie verspricht mehr Profit, bringt Glanz und Lust zum scheinbaren Wachstum und erzeugt zusätzliche Energie für Trost und Ablenkung.” (Yoko Tawada). 

In ihrer Kapitalismuskritik äußern die Demonstrant*innen Bedenken, die Idee eines Wachstum sei nicht mit der Endlichkeit der Erde und ihrer Ressourcen vereinbar. Wachstum und Wohlstand, die die Atomenergie verspricht, sei außerdem ungleich verteilt, sagt Uwe Hiksch von NaturFreunde Berlin

Neue zwischenstaatliche Abhängigkeitsverhältnisse werden geschaffen: Zum Beispiel wurden Verträge zwischen Russland und Staaten wie Ghana, Ungarn, Südafrika oder Sierra Leone unterschrieben: Russland lässt AKWs in diesen bauen, bringt alle Kosten auf, während die Abnehmer der Energie für mindestens die nächsten 40 Jahre den Strom aus diesen für überteuerte Preise kaufen muss. Ob dies den Wohlstand in den Ländern fördert, bleibt abzusehen. Investitionen in erneuerbare Energien werden dadurch ausgebremst.

Wir wollen einen Systemwandel zur sozialökologischen Wirtschaft jenseits des Kapitalismus. Uns ging es nie einfach nur um die Stilllegung von Atomkraftwerken, von Anfang an war unsere Kritik an Atomanlagen auch verbunden mit dem Traum von einer ganz anderen Gesellschaft: Solidarisch, nachhaltig, schön halt. Und dafür kämpfen wir.”, sagt die als gelbe Uran Utan verkleidete Sprecher*in (Anti-Atom Plenum Berlin). 

Demozug von vorn
Demozug von vorn, Banner: “Euratom? Nein Danke”

Fukushima macht als erste Präfektur in Japan, die bis 2040 auf erneuerbare Energien, insbesondere Wasserstoff setzt, einen Anfang. Auch die Bevölkerung spricht sich mehrheitlich gegen Atomkraft aus. Dass das Kernkraftwerk in Fukushima wieder in Betrieb geht, scheint unwahrscheinlich.  

 

Für ein neues Denken des Menschlichen

Die Windräder drehen sich weiter, eines dreht sich besonders schnell, da es von dem Künstler und Tänzer Michiyasu Furutani an einem ca. 5m langen Holzbrett in die Luft gehoben wurde.

“Das Holz ist heute Protagonist in meiner Performance. Ich dachte, es gibt keinen Unterschied zwischen mir und dem Holz, zwischen Körper und Holz. Wir haben uns etwas entfernt von der Natur, aber wir sind ja noch Teil dieser. Alles ist ein ökologisches Biosystem, wir sollten das nicht vergessen – dass wir nicht über der Natur, sondern in die Natur gehören.” (übersetzt aus dem Englischen)

Furutanis Performance ist ruhig. Er bohrt die Holzbretter kommentarlos vor den Demonstrierenden zusammen. Nach einer Weile versteht man: Es geht hier nicht nur um Menschen, sondern auch um Schäden und Verluste von Tieren und Natur, die weiterhin an den Folgen der Strahlenbelastung leiden. Mit seiner Performance äußert er Kritik an den kapitalistischen Gedanken von stetigem aufregendem berauschendem Konsum gefußt auf einer Idee von Naturbeherrschung und auf Kosten von menschlichem und nichtmenschlichem Leben. 

Furutani baut entgegen das Prinzip eines Gegeneinanders auf Solidarität und dem Wunsch, Leute mögen ihm  bei seinen Bauarbeiten helfen. Die Beistehenden sind zaghaft, doch am Ende schreiten drei, vier Leute ein und heben das lange Brett mit der Windmühle gemeinsam hoch.

Furutani hebt das Holz hoch
Furutani hebt das Holz hoch
Furutani baut Holz zusammen
Furutani baut Holz zusammen

Weiterführende Links

zur Website der Demonstration Kazaguruma geht es hier

zur Website von Michiyasu Furutani geht es hier

Zur Autorin

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