Die fünfköpfige Band aus den USA hat nach vier Jahren nun ihr neuntes Studioalbum veröffentlicht. Die Musikwelt ist sich unschlüssig über dieses Projekt: Manche Kritiker:innen sehen das Album als eines der bisher besten der Band und gaben ihm fünf von fünf Sterne, andere empfinden es als schlichtweg langweilig. Couchie Amelie K. aus der Musikredaktion hat die LP daher selbst unter die Lupe genommen.
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Das neunte Studioalbum der Band “The National” ist seit dem 28.04. überall erhältlich. | Foto: 4AD
Bedeutend ruhevoll oder einfach einschläfernd?
Das Album startet mit einem von Herzschmerz erfüllten Stück, über eine Person, die sich verloren hat; in einer Beziehung, an die sie sich nicht mehr klammern kann. Es ist instrumentell simpel aufgebaut, die Melodie einfach. Sufjan Stevens, der renommierte Singer/ Songwriter mit von Musikkritiker:innen hochgelobten Alben wie “Carrie & Lowell” oder “Illinois”, haucht leise Harmonien ins Mikrofon. “Once Upon A Poolside” nimmt vorweg, was das Album zu behandeln versucht: Unsicherheit, Nostalgie, Heartbreak und die Depression eines Menschen. Der Sänger der Band Matt Berninger habe vor dem Album durch die mentale Krankheit an Schreibblockaden gelitten. Das Album, so Berninger, musste er mit einem neuen Blickwinkel angehen. Die Frage ist, ob dieser auch funktioniert hat.
Mit 11 Songs erstreckt sich die LP durch eine vergleichsweise spärlich kolorierte Musiklandschaft. Es ist das bisher ruhigste Projekt der Band, ein bisschen Neuland. Aber das Ziel, mit einer vergleichsweise eher minimalistischen Herangehensweise den so schwerwiegenden Themen Raum zu geben, wirkt wenig überzeugend. Statt gekonnt passende Farben zu wählen, welche die Lyrics in ein eindrucksvolles Bild wandeln würden, wirkt die Komposition insgesamt grau. Vor allen Dingen die ersten vier Songs schleppen sich eher so daher und wirken wie ein einziger, gerader Strich auf der Leinwand. Im vierten Song, “This Isn’t Helping”, schafft nur Phoebe Bridgers’ traurig-schöne Stimme – entgegen des Songstitels – zu helfen und die gewisse Eintönigkeit der Darbietung zu durchbrechen.
Kaum Dimensionalität
Darauffolgend kommt eine sehnlichst erwartete Tempoveränderung mit dem Song “Tropic Morning News”. Das Lied versucht zwar, dem Album neues Leben einzuhauchen, aber die minimalistischen, eher generischen Melodien können auch hier nicht wirklich überzeugen. Das Gleiche gilt für den Song “Alien”. Die Kollaboration mit Taylor Swift “The Alcott” kann dann schon wieder mehr begeistern. Es erinnert an die bereits existierende Kollaboration “coney island” auf Swift’s indie-folk LP “evermore”, ein Album, an dem Aaron Dessner, Mitglied von The National, mitarbeitete. Frontmann Berninger schrieb den Song inspiriert durch seine Frau: ”The Alcott” ist ein Duett über ein Paar, das versucht, eine gestörte Beziehung wieder aufleben zu lassen. Auch hier werden wieder die Motive der Nostalgie und der Unsicherheit aufgenommen und kriegen durch das Back and Forth von Berninger und Swift Dimensionalität, welche diesem Album sonst an so vielen Stellen fehlt. Aber dieser Peak hält nicht lange an: Zwar folgt mit “Grease In Your Hair” etwas mehr Schwung, aber auch die Eintönigkeit durch schlichtweg langweilige Melodien kehrt zurück.
Die Kollaboration “The Alcott” mit Taylor Swift gibt es auch als Official Lyric Video auf YouTube.
Die letzte Etappe des Albums ist erreicht mit dem Song “Ice Machines”: Obwohl sich die musikalische Herangehensweise nicht sonderlich von anderen Songs des Projekts unterscheidet, kann sich dieses Lied durch eine gewisse inhaltliche Komplexität aufrechter zeigen und sich dadurch erfolgreicher abheben. Der Song geht mehr unter die Haut, er wirkt authentischer. Das Gleiche gilt für die letzten beiden Lieder.
Es fehlt der Schritt aus der Komfortzone hin zur Wagnis
Insgesamt bleibt das Album aber eher enttäuschend. Die Qualität mag innerhalb des Projekts etwas steigen, schafft es aber nie so richtig, eine Linie zu überschreiten, die wirklich Herzen erreicht und begeistert. Es scheint so, als würde die Band immer ein bisschen hinter dem Vorhang bleiben und sich nicht trauen, wirklich und wahrlich hervorzukommen. Auch die Features des Albums spiegeln das wieder: Sufjan Stevens und Phoebe Bridgers werden eher verwendet, wie ein Audio-Plugin verwendet wird, anstatt die Möglichkeit komplett auszuschöpfen, was das Zusammenbringen von zwei Künstler:innen-Universen birgen kann. Und ebenfalls die Lyrics sind meist so vage, dass sie zu willkürlich, zu gewollt klingen. Man kann fast nie so richtig mit ihnen “connecten”. Beispielsweise erinnern sie bei “New Order T-Shirt” an eine Erzählung von einem gealterteten Nischenhipster der 2000er, der an seiner Adoleszenz festhält und dann mit Halbherzigkeit poetische Texte auf einer Servierte schreibt, die einfach zu versucht klingen. Dem ganzen Album fehlt es am Ende an Originalität und dem Schritt aus der Komfortzone hin zur Wagnis. Auch wenn die Band von sich selbst aus sagt, dieses Album sei das bisher Authentischste, kann zumindest ich ihnen das nicht abkaufen.
Gesamteindruck 4/10
Eckdaten:
Titel: “First Two Pages of Frankenstein”
Erscheinungsdatum: 28.04.2023
Single-Auskopplungen: “Tropic Morning News” (18.01.23), “New Order T-Shirt” (23.02.23), “Eucalyptus” (22.03.23), “Your Mind Is Not Your Friend” (ft. Phoebe Bridgers) (12.04.23)
Setlist:
1. “Once Upon A Poolside” (ft. Sufjan Stevens)
2. “Eucalyptus”
3. “New Order T-Shirt”
4. “This Isn’t Helping” (ft. Phoebe Bridgers)
5. “Tropic Morning News”
6. “Alien”
7. “The Alcott” (feat. Taylor Swift)
8. “Grease In Your Hair”
9. “Ice Machines”
10. “Your Mind Is Not Your Friend” (ft. Phoebe Bridgers)
11. “Send For Me”
Laufzeit: ca. 48 Min.
Weiterführende Infos
Hier kannst du das Album überall streamen.
Die offizielle Website der Band.
Wer die Band live sehen will, kann das zum Beispiel in Berlin am 30.09.2023 in der Max-Schmeling-Halle tun.
Autorin:
Amelie K.