Erbschaft in DE – Erbschaft in Deutschland ist ungerecht – Im Interview mit Prof. Dr. Stefan Gosepath

Ist Erbschaft an sich ungerecht oder sind es nur die Auswirkungen davon? Sollte nicht jeder mit seinem Eigentum machen dürfen, was er oder sie will? Diese Fragen haben wir Prof. Dr. Stefan Gosepath gestellt. Er ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Gleichheit und Gerechtigkeit.


GESPRÄCHSSTOFF

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Erbschaft ist eine Praxis, die schon immer existiert hat; warum ist Erbschaft an sich überhaupt ein Problem?

Erbschaft an sich ist kein Problem. Erbschaft ist nur ein Problem, aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive, wenn es zu großer Ungleichheit führt. Also wenn alle gleich Erben würden oder mehr oder weniger gleich erben würden, wäre Erbschaft an sich gar kein Problem. Aber so wie Verhältnisse de facto liegen, führt Erbschaften bei uns dazu, dass einige erben und einige nicht erben, abhängig davon, ob Eltern zu Reichtum gekommen sind oder nicht.

Und warum genau ist Erbschaft ungerecht?

Das ist die Perspektive, mit der ich auf Erbschaft gucke und von der ich denke, dass sie dominierend sein sollte. Man könnte natürlich auch aus der ökonomischen Perspektive auf Erbschaft schauen und das muss man irgendwie auch zusammen bekommen. Im Prinzip ist es ja so, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben – zumindest denken das die Meisten von unserer Gesellschaft – und das heißt, dass man das, was man an Eigentum und Reichtum einnimmt, dass man das verdient haben muss. Jetzt ist ziemlich klar, dass das mit Erbschaften nicht so ist! Erbschaften sind unverdient; die Eltern haben sich das gegebenenfalls verdient, aber man selbst eben nicht. Damit verstoßen Erbschaften gegen ein fundamentales Prinzip der Gerechtigkeit, das wir für unsere Gesellschaft in Anspruch nehmen. 

Ein weiteres, ganz offensichtliches Problem ist die Chancengleichheit: Wir verlangen in der Regel, dass die Startchancen unserer Kinder gleich verteilt sind. Das heißt, dass es nicht vom Einkommen der Eltern abhängt, ob aus Kindern etwas “wird”.  Es ist klar, dass es sich mit Erbschaft anders verhält, denn diejenigen, die erben, haben mehr Chancen. Selbst wenn sie erst mit 70 erben werden, wissen sie dies in der Regel vorher. Das heißt, sie haben eine größere Sicherheit, dass, falls etwas schiefgehen sollte, eine Art “Backup” existiert. In diesem Sinne haben sie auf jeden Fall mehr Chancen.

Weiterführende Informationen

(Un)gerechtigkeit der Erbschaft in Deutschland

Statistik über die Erbschafts- und Schenkungsteuer in DE

Erbschaft im europäischen Vergleich


Autor:

Ray Haase