Expert*innen in der Corona-Berichterstattung

Über Geschlechterverteilung und Unterrepräsentanz von Expert*innen in der Corona-Berichterstattung sprach Victoria mit Karin Heisecke, Projektleiterin der MaLisa Stiftung

 

“Von den Personen, die im Fernsehen als Expertinnen oder Experten zu Wort kamen, davon waren nur 22 Prozent, also nur 1 von 5, weiblich.“ (Karin Heisecke, MaLisa Stiftung).

Das ergab die aktuelle Studie zur Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung der MaLisa Stiftung, veröffentlicht im Mai 2020. 

“Wer wird in Krisenzeiten gefragt?”, heißt es dort. Krisenzeit meint die Corona-Pandemie und die Antwort würde nach den Ergebnissen der Studie lauten: Männer (und damit gemeint sind cis-Männer).

“Von den Personen, die im Fernsehen als Expertinnen oder Experten zu Wort kamen, davon waren nur 22%, also nur 1 von 5, weiblich. Interessanterweise selbst in den Berufsgruppen, wo Frauen defacto entweder genauso häufig oder sogar teilweise noch häufiger als Männer vorkommen, selbst da war es so, dass Frauen als Expertinnen deutlich seltener zu Wort kommen und das bedeutet eine Schieflage, unsere Gesellschaft wird dann nicht akkurat dargestellt”,

sagt Karin Heisecke, Sozialwissenschaftlerin und Projektleiterin der MaLisa Stiftung. Die Studie untersuchte die Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung in dem Zeitraum vom 16. bis 30. April 2020. Dabei wurden zwei Medienbereiche unter die Lupe genommen: 1. Die TV-Berichterstattung zweier öffentlicher und zweier privater Sender: ARD, das Erste, ZDF und RTL, die von den Forscherinnen Prof. Dr. Elizabeth Prommer und Masterstudentin Julia Stüwe des Instituts für Medienforschung der Universität Rostock untersucht wurden und 2. Online-Ausgaben von 13 Printmedien-Berichten, die der Datenexperte und Urheber des Gender Equality Tracker Max Berggren analysierte. 

Die geschlechtliche Zuordnung fand anhand der Wahrnehmung aus Zuschauer*in-Perspektive statt. 

Karin Heisecke erzählt, warum die Stiftung ins Leben gerufen wurde:

“Unser Ziel ist eine gleichberechtigte, freie Gesellschaft, in der alle Geschlechter gleichermaßen ihre Potenziale entfalten können und sich gesellschaftlich einbringen können. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil es vor der ersten Studie aus 2017 noch keine Daten gab, inwiefern Frauen im Bewegtbild, also Film und Fernsehen, repräsentiert sind. Als die Coronakrise plötzlich da war, wurde ja auch zunehmend thematisiert, dass im Kontext dieser Krise sowohl in den politischen Entscheidungsgremien aber auch in den Medien deutlich mehr Männer zu Wort kamen als Frauen.”

Diese Wahrnehmung habe sich bestätigt, sagt Karin Heisecke. 

Mangelt es an weiblichen Expert*innen?

Karin Heisecke verneint und weist auf die Ergebnisse der Studie hin:

1 von 5 befragten Ärzt*innen ist weiblich
1 von 5 befragten Ärzt*innen ist weiblich

“Wir haben die Daten vom statistischen Bundesamt genommen und 47% aller Ärzt*innen in Deutschland sind weiblich und trotzdem war der Anteil, bei denen, die zu Wort kam, so niedrig.”

Kurz gefasst: In der Realität ist ungefähr jede 2. Frau Ärzt*in, also Expert*in, im Fernsehen aber nur jede 5. Dass Frauen unterrepräsentiert sind, ließ sich auch daran erkennen, dass selbst bei Themenbereichen, die sozial frauisiert sind – zum Beispiel Bildung und Soziales, der Anteil an Expert*innenwissen in den Medien viel niedriger lag, zum Beispiel im Bereich Pflege bei 17%. Das Thema Gewalt gegen frauisierte Personen in Zusammenhang mit der Coronakrise wurde insgesamt nur einmal im TV-Fernsehen erwähnt.

Diagramm Geschlechterverteilung von Expert*innen
Statistik zeigt, am seltesten kommen Frauen als Expertinnen in der TV-Corona-Berichterstattung vor.

Wie lässt sich das erklären? 

“Was wir insgesamt wissen, ist, dass viele Mechanismen zusammenspielen, die dazu führen, dass man gar nicht an Frauen denkt, wenn es darum geht, welche Menschen mit Expertise lade ich zu diesem Thema ein, und, ob die Frauen, wenn sie dann eingeladen sind, auch kommen. Das fängt an mit den Ideen, die wir haben darüber, wer in unserer Gesellschaft Kompetenz trägt. Es gibt ja durchaus psychologische Studien dazu, dass Männer häufig mit denselben Qualifikationen als deutlich kompetenter wahrgenommen werden als Frauen. Also mal ganz flapsig ausgedrückt, ein Mann muss zu irgendeinem Thema nur eine Masterarbeit geschrieben haben und landet dann schon als Experte in einer Talkshow, während eine Frau am Besten zwei Doktortitel dazu hat oder mindestens 20 Veröffentlichungen.”

Karin Heisecke geht hier auf die Thematik der Sozialisation ein, verbunden mit der Frage, wie frausierte Personen ihre eigene Expertise wahrnehmen und wieviel sie sich zutrauen. Weiterhin weist sie darauf hin, dass Arbeit noch immer stark vergeschlechtlicht sei und daher frausierte Personen noch immer diejenigen seien, die Sorgearbeit leisten würden, sodass “ihnen dadurch schlicht auch weniger Zeit bleibt, in Talkshows zu gehen oder Interviews zu geben als das bei Männern der Fall ist, die, wenn sie eine Familie haben, nicht diese Belastung haben, weil sie halt eine Frau haben, die das dann übernimmt.”

Zuletzt lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die Frage, welche Rolle Medienhäusern zukommt, die letztendlich auswählen, wer angesprochen und zu Wort gelassen wird: “Dann ist natürlich ein wichtiger Faktor, inwiefern den Medien, die diese Auswahl treffen, wichtig ist, Leute zu Wort kommen zu lassen in der Häufigkeit, wie sie in der Gesellschaft vorkommen. Und wenn die Medien, zum Beispiel die Redaktionen, die die Auswahl treffen, sagen: ‘Das muss jetzt aber schnell gehen und ich hab hier eine Liste und da stehen halt fünf Männernamen drauf und nur eine Frau – und die Frau habe ich angerufen und die hat abgesagt. Dann nehme ich halt einen von den Männern’. Wenn sie es damit belassen, dann führt das dazu, dass man immer mehr Männer zu sehen und zu hören bekommt.”

Medien haben also jede Menge Einfluss darauf, welches Gesellschaftsbild vermittelt wird. Auf die Frage, welche Handlungsvorschläge sich aus der Datenmenge ergeben könnten, antwortet Projektleiterin Karin Heisecke:

“Dieses bewusste darauf achten in Redaktionen, dass man die Bevölkerung, also die Realität in dem, was man anbietet, auch widerspiegeln will. Das heißt also auch der Anteil von verschiedenen Geschlechtern, der Anteil von Menschen of Color, es gibt ja verschiedene Merkmale, Alter oder ob man eine Behinderung hat oder nicht, ob man aus Ost- oder Westdeutschland kommt etc. . Das sind alles Kriterien, auf die man achten muss, wenn man wirklich die ganze Gesellschaft abbilden und zu Wort kommen lassen will.”

Kreisdiagramme zeigen wie Frauen und Männer als Expert*in, Forscher*in und Virolog*in vorkommen
Kreisdiagramme zeigen wie Frauen und Männer als Expert*in, Forscher*in und Virolog*in vorkommen

Man könne einfach zählen: Listen oder Datenbanken, die die Diversität an Expert*innen verzeichnet, könne dabei unterstützen. Mit gutem Beispiel geht zum Beispiel der SWR voran, der sich der 50:50 Challenge – das bedeutet 50% Frauen, 50% Männer in der Redaktion – angeschlossen hat und eine gleichberechtigte Verteilung von Stimmen umzusetzen versucht. Des Weiteren gibt es die Website Vielfaltfinder.de, eine Datenbank der  Neuen deutschen Medienmacher*innen, die Expert*innen mit Migrationshintergrund verzeichnet. Solch eine Liste wünscht sich Karin Heisecke auch für verschiedene geschlechtliche Identitäten – die gibt es nämlich noch nicht. Weiterhin fordert sie mehr Frauen in den Führungspositionen sowie die Thematisierung von Geschlechterungleichheit in der Medienausbildung.

Die MaLisa Stiftung trägt mit ihrer Forschung dazu bei, Wahrnehmungen von Geschlechterungleichheit mit Daten zu belegen. Vor allem in Zeiten von Fake News und der steten Anfechtung und Infragestellung der Relevanz feministischer Kritik lohnt es sich, ein paar Zahlen parat zu haben. Die MaLisa Stiftung stellt diese mit ihren komplexen Studien bereit und ein Blick in diese zeigt, feministische Kritik muss weitergehen. 

Karin Heisecke, Projektleiterin MaLisa Stiftung
Karin Heisecke, Projektleiterin MaLisa Stiftung, Rechte bei Elfi Greb

 

Weiterführende Links:

Die Website der MaLisa Stiftung findet ihr hier

und direkt zur Studie kommt ihr hier 

 

 

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