Eine filmische Meditation
Serien und Filme müssen spannend oder besonders lustig sein, um mit der riesigen Auswahl auf Netflix und Co. mithalten zu können. Dem filmischen Essay „Meer Werden“ scheint das egal zu sein. Es will keinen Spannungsbogen oder Punchlines, es will meditieren und das Denken anstoßen anstatt fertige Gedanken zu servieren. Auf seine eigene, poetische Weise kontrastiert und parallelisiert der Film von Philipp Hartmann und Danilo Carvalho das Wasser in seiner Abwesenheit sowie in seinem Überfluss und ist damit eine Herausforderung für unser Konsumverhalten von filmischen Inhalten.
KULTURKOMPASS
Jetzt anhören:
Eine neue Form des Erzählens…
Dokumentarische Aufnahmen und inszenierte Alltagsmomente vermischen sich in der fast schon poetischen Montage des Films. Die Szenen bewegen sich zwischen Brasilien und der deutschen Nordseeküste, zwischen extremer Dürre und Hochwassergefahr. In einem kleinen Ort an der Nordsee sitzt ein alter Pianist in seinem Haus und möchte den Fluten nicht weichen, während sich in Brasilien zwei Männer über ein Dorf unterhalten, was es längst nicht mehr gibt – an dessen Stelle: Trockenheit, wüstenartige Landschaft. Das Wasser bleibt aus.
Die langen, statischen Einstellungen, das Fehlen eines klaren Narrativs und die erst zusammenhanglos wirkenden Bilder- und Tonfetzen machen es einem schwer, sich nicht ablenken zu lassen, während der Film läuft. Doch wenn man es schafft, die Erwartung an leichte Unterhaltung loszulassen und zu erkennen, was der Film zu vermitteln versucht, dann gelingt ein neues filmisches Erlebnis. „Meer Werden“ ist tatsächlich ein eigenständiges Nachdenken, eine Meditation, die es braucht, sich voll und ganz auf die ungewöhnliche Erzählung einzulassen.
…erzeugt ein anderes Filmerlebnis.
Immer wieder mischen sich eigenartige Momente unter die sonst nüchtern wirkende Erzählung. Zum Beispiel Jesus, der durch einen Teich stapft. Er kann nicht mehr über Wasser laufen, weil der Teich zu verschmutzt ist. An einer anderen Stelle sieht man Disney-hafte Illustrationen von üppigen, grünen Landschaften mit Wasserfällen, Flüssen, Blumen und Wäldern untermalt mit euphorischem Gesang. Das bringt nicht nur Komik in die Erzählung, sondern lässt einen wirklich darüber nachdenken, wonach wir uns als Menschen auf dieser Erde sehnen und was wir im Kontrast dazu eigentlich dafür tun. Während in Filmen und Bildern diese Üppigkeit und dieser Einklang als Paradies dargestellt wird, haben wir doch alles getan, dass wir jetzt im Wüstenland sitzen oder gegen Überschwemmungen ankämpfen – keine Aussicht auf das Paradies.
Der Titel „Meer Werden“ passt wirklich gut, denn der Film überlässt dem Wasser die Erzählung. Es strömt und fließt durch die Aufnahmen. Seine Wucht und Masse kann einschüchtern und sein Ausbleiben lässt eine unangenehme Leere zurück. Es erzählt vom Klimawandel, ohne das Wort selbst zu benutzen – denn es ist doch weniger ein Wandel, als eine Katastrophe, die solche Extreme verursacht.
Um sich selbst auf so ein besonderes filmisches Erlebnis einzulassen, muss man vielleicht mal die Komfortzone verlassen, aber das hält ja bekanntlich Gutes bereit. Seit dem 4. Mai ist „Meer Werden“ auch bundesweit auf Kinotour und lädt dazu ein, über das Wasser im Zeitalter des Klimawandels nachzudenken.
Autorin:
Johanna