Ein Windrad direkt vor dem Alex. Klimagerechtes Tanzen. Mehr Grünflächen und Radwege in der City
Berliner Initiativen wollen durch gemeinschaftliches Engagement die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen überwinden. Und das nicht erst seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Vertretende verschiedener Projekte vereinen schon länger Großstadt und Nachhaltigkeit.
GESPRÄCHSTOFF
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Clubtopia ist ein Projekt, das sich für nachhaltigen Wandel in Berliner Clubs einsetzt. Matthias Krümmel ist hier seit 2020 Energieberater. Trotz der Klima- und Energiekrise bleibt er optimistisch, denn Club-Betreibende kämen zahlreich auf die Energieberatung zu. Diese wird vom Senat finanziell gefördert und ist für die Clubs komplett kostenlos. Zu den konkreten Maßnahmen im Anschluss an die Beratung gehört der Umstieg auf effiziente Technik: Digitale Mischpulte, Licht- und Kühltechnik, Belüftung. Was an Heizenergie anfällt sei sehr unterschiedlich, Beheizung könne je nach Größe der Location sehr teuer werden, erzählt der Berater ohne genaue Zahlen zu nennen. Allerdings: „Ganz viele kleine Kellerclubs – und in Berlin ist das die Kategorie, die am häufigsten vorkommt – brauchen oft gar keine Heizung, weil wir mit unseren Körpern heizen. Daher brauchen diese Clubs eher Klimaanlagen, um die Luft zu trocken und kühl zu halten.”
Matthias’ Vision:
„Warum dreht sich am Alex, wo der Fernsehturm steht, nicht auch noch ein Windrad für die Berliner Clubs mit dazu, was den Berlinern eben auch zeigt: In dieser Stadt wird getanzt, aber eben klimaneutral? Der Strom, der für‘s Tanzen gebraucht wird, der kommt hier auch aus der Sonne.”
Der Klimaschaden sei derzeit noch durch die kapitalistische Musikindustrie vorprogrammiert
Außerdem kann auch die Mobilität anders organisiert werden. Emissionen könnten etwa bei der Anreise von DJ’s kompensiert werden. Kooperationen mit klimafreundlichen Booking-Agenturen wären eine gute Option. Nur sei der Klimaschaden derzeit noch durch die kapitalistische Musikindustrie vorprogrammiert: Künstler:innen seien oft gezwungen weite Reisen auf sich zu nehmen, da seitens der Veranstalternden ein Exklusivitätsanspruch bestünde. In einer bestimmten Zeitspanne dürfe in manchen Clubs nur eine ganz konkrete Anzahl an Auftritten erfolgen. So müssten Performende durch die Welt touren und klimaschädliche Transportwege nutzen.
Unter dem Motto „Feiern, als gäbe es ein Morgen” hat Clubtopia daher „einen Code of Conduct entwickelt, eine freiwillige Selbstverpflichtung zum klima- und umweltfreundlichen Handeln in der Clubszene”, wie es auf der Website des Projekts heißt. U.a. haben der Suicide Club, das SchwuZ, Fahimi am Kotti oder auch die Rummelsburger Bucht den Nachhaltigkeitskodex bereits unterzeichnet.
„Der wirkliche Hebel ist aber politisches Engagement in der Gemeinschaft”
Dass Unterzeichnungen Großes im Hinblick auf nachhaltige Stadtstrukturen bewirken können, weiß auch Ragnhild Sørensen von changing cities e.V.. Mit dem Volksentscheid Fahrrad hat der Verein 2016 mehr sogenannten „menschenfreundlichen” Straßenraum erkämpft.
Wie beeinflusst die aktuelle Energiekrise und der Krieg die Arbeit des Vereins?
„In Berlin sind 90% des Verbrauchs von Öl und Gas ist russisches Öl und Gas. Das heißt, wenn ich die Heizung andrehe, unterstütze ich Putin. Wenn ich ein Auto losfahre, unterstütze ich Putin. Das sind einfach Dimensionen, in den wir vorher nicht gedacht haben. […] Natürlich, Klimaschutz war schon immer ein Thema, aber durch den Krieg bekommt das ganze eine andere Dringlichkeit”, sagt die Pressesprecherin.
Was Einzelne tun können?
„Politisch aktiv werden. Es ist super, wenn die Leute Fahrrad fahren, je mehr Leute Fahrrad fahren desto mehr Platz fordern sie auch rein physisch ein. Natürlich ist das gut, wenn man weniger Fleisch isst, weil man dadurch natürlich seinen Konsum verändert und nachhaltiger lebt. Man kann nur Bio kaufen – ist auch gut, aber der wirkliche Hebel das ist also ein politisches Engagement in der Gemeinschaft.”
Die Energiekrise will Ragnhild auch als eine Energiemöglichkeit verstehen: Privilegien, wie ein eigenes Auto und der Parkplatz vor der Haustür könnten umverteilt werden. Das Ergebnis wäre „dass wir eine viel viel ruhigere Stadt haben, wir haben viel viel mehr Platz für die Menschen, viel mehr Grün, Begrünung um die Städte zu kühlen, im Sommer vor allem, und wir haben eine viel viel bessere Luft”.
„Es wird auf Verzicht hinauslaufen”
Wie das in der Tat aussehen kann, zeigt sich seit 2018 Mitten in Kreuzberg: Der Möckernkiez ist eine genossenschaftliche Wohnanlage direkt neben dem Park am Gleisdreieck. Elfriede Stauss wohnt hier und ist im Vereinsvorstand. Sie betont:
„Es ist ganz viel Ehrenamtlichkeit in dem Projekt. Das macht uns so aus, bei allen Themen – kulturellen, nachbarschaftlichen, aber eben auch z.B. bei den Grünflächen.”
Das gemeinschaftliche Wohnen, ökologische Grundsätze, Barrierefreiheit und das generationsübergreifende Miteinander hätten die gebürtige Magdeburgerin überzeugt, eine der insgesamt 471 Wohnungen im Kiez zu beziehen. Die Genossenschaft sei an dem Gemeinwohl interessiert, ganz anders als Immobilien, die mit Wohnraum nur Geld verdienen wollen würden.
Wie die Energienutzung im Kiez aussieht, erzählt Bernhard Drechsel, der Technische Vorstand der Genossenschaft:
„Wir haben hier alles sogenannte KFW40 Häuser, d.h. die sind gegenüber der normalen Bauweise sehr sparsam im Energieverbrauch. Wir haben also hochgedämmte Fassaden, wir haben einen relativ hohen Grünanteil hier im gesamten Kiez. Wir haben eine zentrale Wärme- und Warmwassererzeugung, es gibt ein Blockheizkraftwerk und wir nutzen auch Solaranlagen auf den Dächern für die Stromerzeugung.”
Allerdings sei auch der Kiez weiterhin auf Zukäufe angewiesen. Daher würde die Lösung für das Energieproblem nicht nur im Technologiewandel liegen: „Es wird ganz eindeutig auch auf Verzicht hinauslaufen und dazu brauch ich natürlich auch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.”
Dass ein Teil der Gesellschaft einen derartigen Kurswechsel im Alltag nicht nur akzeptiert sondern einfordert, zeigt sich beim Klimastreik von Fridays for Future. Über 20.000 Teilnehmende waren bei der Kundgebung am 25. März dabei.
„Wir brauchen ein Sofortprogramm, um uns von Gas, Öl und Kohle zu verabschieden”
Die Teenager Lucy und Lennart z.B.. Bei der Kundgebung im Invalidenpark sammeln sie Spenden, damit die Bewegung auch in Zukunft Technik, Lastenräder und Plakate nutzen kann. Unter den Umweltaktivist:innen ist auch die Universitätsprofessorin Sabine von Mering:
“Was wir brauchen ist ein Sofortprogramm, um uns von Gas und Öl und Kohle zu verabschieden. Sieht man ja jetzt auch in dieser neuen Regierungskoalition, dass es einfach nicht genug Mut gibt 100 Milliarden in die Energiewende zu stecken, stattdessen steckt man sie ins Militär.”
Vor allem der Krieg in der Ukraine bereite ihr Sorge:
„Es ist eine sehr heikle Situation, die in jedem Moment in einen Weltkrieg ausarten kann. Und das ist sehr gefährlich. Und es ist sehr gefährlich für die Klimakrise, weil sie wieder in den Hintergrund gedrängt wird. Es ist aber wichtig, dass wir die beiden verbinden und zeigen, wie eng sie miteinander verknüpft sind. Es ist eine Aufgabe für alle.”
Durch gemeinschaftliches Engagement und Energiemanagement muss umfassende Nachhaltigkeit vielleicht keine bloße Idee bleiben – selbst in einer Großstadt wie Berlin. Auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit von autokratischen Regimen erscheint dann ein bisschen weniger utopisch.
Weiterführende Informationen
Website Clubtopia
Website changing cities e.V.
Website Möckernkiez (Genossenschaft), Website Möckernkiez (Vereinsblog)
Website Fridays For Future Berlin
Indikatorenbericht 2021: Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Statistisches Bundesamt: März 2021.
Autorin:
Nika M