Zu Besuch im feministischen Archiv FFBIZ

Feministischer Aktivismus hat die heutige Gesellschaft geprägt. Dass vergangene Aktionen und Ideen nicht vergessen werden, das ist das Ziel des feministischen Archivs FFBIZ. Seit über 40 Jahren werden hier Materialien und Akten der Frauenbewegung aufbewahrt, die in normalen Archiven keinen Platz finden würden. Im Gespräch mit couchFM-Reporterin Birte erzählen Archivleiter Roman Klarfeld und die wissenschaftliche Dokumentarin Dagmar Noeldge von ihrer Arbeit im FFBIZ.


GESPRÄCHSTOFF

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Am internationalen Frauentag am 8. März ist sie besonders laut und sichtbar, die feministische Bewegung in Berlin. Überall in der Stadt finden Aktionen und Demonstrationen statt, und das seit Jahrzehnten. Aber was passiert, wenn die Demo vorbei ist? In Berlin-Friedrichshain, nahe der S-Bahn-Station Storkower Straße, liegt das feministische Archiv FFBIZ. FFBIZ, das steht für Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrum. Hier, in einem unauffälligen Backsteingebäude auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs, werden Jahrzehnte der Berliner und gesamtdeutschen feministischen Geschichte aufbewahrt.

Vom Treffpunkt für Frauen zum Archiv

Entstanden ist das FFBIZ 1978 aus dem Wunsch, feministisches Erbe zu retten und ein autonomes Frauenbildungszentrum zu schaffen. „Der Beginn war ein Aufruf in der Frauenzeitschrift Courage.“, erzählt Dagmar Noeldge, wissenschaftliche Dokumentarin im FFBIZ. „Das Ziel war es, einen Raum außerhalb der Universität zu schaffen, also auch die Frauen aus den Kiezen mitzunehmen, auch Frauen, die nicht studieren, und so etwas wie eine Institution im Kiez zu werden und eine Verbindung herzustellen zu den Menschen, die dort leben.“ 1980 wurde das FFBIZ feierlich mit hunderten Besucher*innen eröffnet, damals noch im West-Berliner Stadtteil Charlottenburg. „Charlottenburg und die Danckelmannstraße waren ganz wichtige Orte für das FFBIZ. Es ist mehrmals umgezogen in der Straße, hatte eine eigene Galerie – das war sicherlich auch ein Höhepunkt – wo auch Ausstellungen stattfanden, war ein Treffpunkt und auch ein Ort, an dem politische Gruppen getagt und Veranstaltungen geplant haben.”

Das FFBIZ kämpfte immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten. Anders als ähnliche autonome Einrichtungen nahm es zwar staatliche Zuschüsse in Anspruch, aber auch diese waren kaum ausreichend und drohten oft, eingestellt zu werden. 2003 erfolgte deshalb der Umzug aus Charlottenburg in den Osten, wo sich das FFBIZ nun Räumlichkeiten mit dem Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung teilt. Seitdem treffen sich hier keine Gruppen mehr, die feministische Geschichte muss jetzt anderswo geschrieben werden. Das FFBIZ konzentriert sich heute auf die Archivarbeit.

Gäst*​innen und Mitarbeiterinnen bei der Eröffnung des FFBIZ in der Danckelmannstraße| Foto: Gisela Vollradt (www.ffbiz.de/ueber-uns/geschichte)

Ideen bewahren, Kontinuitäten aufzeigen

Im Lesesaal ist es bis auf das Rascheln von Papier totenstill. Auf dem Tisch stehen drei große Kartons zum Thema sexistische Werbung in den 1970ern und -80ern. Die gesammelten Zeitungsartikel sind fein säuberlich ausgeschnitten und auf Karton geklebt worden, das Papier ist mittlerweile gelb. Auf kleinen Stickern steht der Name der Zeitung und das Erscheinungsdatum, manchmal wurden Stellen unterstrichen oder um kurze handschriftliche Anmerkungen ergänzt. Man fühlt sich ein bisschen ehrfürchtig bei dem Gedanken, wie viel Zeit und Mühe für den Erhalt dieser Papiere aufgebracht wurde. Die Artikel beschäftigen sich mit einem längst vergessenen Skandal in Wien, der 1981 für kurze Zeit ganz Österreich und Westdeutschland beschäftigte: Der Unterwäschehersteller Palmers hatte eine neue, für damalige Verhältnisse gewagte Plakatkampagne gestartet. Zu sehen gab es viel nackte Haut. Auf einem der Motive räkelte sich beispielsweise eine Frau im schwarzen Tanga mit laszivem Blick, darunter der Schriftzug „Trau dich doch“. Feminist*innen sahen darin Sexismus und einen Aufruf zu sexuellen Übergriffen, und übersprühten dieses und weitere Plakate der Kampagne. Zeitungen griffen die Aktion rasch auf, das Medienecho schwankte zwischen Unverständnis und Häme. Palmers konnte Rekordumsätze vermelden. Abgesehen davon, dass der kokette Augenaufschlag eines Unterwäschemodels in der heutigen Werbelandschaft vermutlich keine so hohen Wellen mehr schlagen würde, klingen Aktion und gesellschaftliche Reaktion vertraut. Auch heute noch kritisieren feministische Aktivist*innen Sexismus in der Werbung, auch heute wird dem häufig mit Achselzucken und Ablehnung begegnet.

Die Themen, mit denen sich Feminist*innen beschäftigen, sind oft dieselben wie vor Jahrzehnten, auch wenn sich die Zugänge ändern. Archivleiter Roman Klarfeld freut sich, wenn Aktivist*innen von heute vergangene Kämpfe nicht außer Acht lassen. „Ich finde das spannend, weil ja seit einigen Jahren Rassismus in der Frauenbewegung oder in feministischen Kontexten wieder ein relativ großes Thema ist. Es hat eine gute Zeit gebraucht, bis Leute darauf gekommen sind, „Ja, das war schon einmal Thema“. Seitdem werden gerade diese Archivalien vermehrt bei uns angefragt und auch genutzt. Ich finde es total schön, wenn auch darauf Bezug genommen wird, welche Kämpfe schon stattgefunden haben.“ Dass seine Arbeit im FFBIZ politisch ist, steht für Klarfeld außer Frage. „Schon allein die Entscheidung, dieses Material aufzubewahren und für zukünftige Generationen zur Verfügung zu stellen, ist ein Politikum. Kein staatliches Archiv würde diese Materialien als archivwürdig ansehen.“

Das feministische Archiv FFBIZ an seinem heutigen Standort in Berlin-Friedrichshain | Foto: Birte Wulfes

Sticker, Buttons, Pflastersteine – das FFBIZ ist kein gewöhnliches Archiv

Das ist allerdings nicht der einzige Unterschied zu klassischen staatlichen Archiven. „Behörden haben die Pflicht, ihre Materialien an das [staatliche] Archiv zu geben. Das ist etwas, was es bei uns nicht gibt. Die Frauenbewegung und feministische Projekte haben nicht die Pflicht, leider würde ich sagen (Dagmar Noeldge lacht), ihre Sachen bei uns abzugeben. Ein zweiter Unterschied ist auch, dass das Material sehr anders ist.“ Noeldge ergänzt: „Plakate, Fotos, Buttons und Sticker von Demonstrationen, Flugblätter, Aufrufe… Wir haben Leporellos, wir haben alle Arten von Materialien, die so in klassischen Archiven wahrscheinlich nicht vorkommen“.

Im FFBIZ wird beispielsweise der Pflasterstein aufbewahrt, der durch das Fenster des ersten Frauenbuchladens in West-Berlin geworfen wurde. Klar, auch er ist ein Teil der feministischen Geschichte der Hauptstadt. Aber bei der Menge an Stickern, Flyern, Demoaufrufen und Pflastersteinen, wie wird entschieden, welche Materialien archivwürdig sind? Dagmar Noeldge muss nur selten darüber nachdenken, ob etwas ins Archiv gehört oder nicht. Relevanz haben besonders Materialien zu wichtigen Themen der feministischen Bewegung. Aber auch die Biografie der beteiligten Aktivist*innen ist entscheidend. „In der Regel“, so Noeldge, „findet das, was hierher gehört, schon seinen Weg zu uns“.

“Hier findet nicht nur Forschung statt”

Neben der eigentlichen Archivarbeit stehen auch Projekte wie Publikationen oder öffentliche Veranstaltungen und die Bereitstellung für Nutzer*innen im Vordergrund. Bei den „Oral Her*Stories“ werden Frauen interviewt, die Berlin seit 1968 politisch geprägt haben. In den „FemHistory Labs“ können Interessierte in Gruppen Archivmaterialien zu einem bestimmten Thema entdecken und mit Zeitzeug*innen sprechen. „Es entsteht vielleicht der Eindruck, dass hier nur Forschung stattfindet, aber das ist nicht so“, sagt Noeldge. „Die Nutzer*innen bringen ihre Themen und Protestkultur mit, und verbinden die neuen Materialien mit den alten. Es findet eine Kontinuität statt, und auch das ist Nutzung hier“.

Die Zeitungsartikel, die ich mir angeschaut habe, kommen nach meinem Besuch wieder zurück ins sauerstoffreduzierte Magazin des FFBIZ. 500 Regalmeter Archivalien sind dort sicher verstaut, für unsere und die kommenden Generationen. Das feministische Archiv FFBIZ möchte seit über 40 Jahren als autonome Instanz dazu beitragen, dass feministisches Wissen, Ideen und Geschichte präsent bleiben. Mit seiner eigenen bewegten Vergangenheit ist es damit selbst ein Teil der Berliner Stadtgeschichte.

Weiterführende Informationen

Die Sticker, die ihr noch vom 8. März übrig habt, oder das Poster von der feministischen Aktion, das in eurer WG-Küche hängt, sind vielleicht ein echtes Stück Geschichte! Wenn ihr denkt, dass ihr vielleicht Material für das FFBIZ habt, könnt ihr euch gerne bei ihnen melden.

Die Bestände des FFBIZ können mit vorheriger Anmeldung von allen interessierten Menschen genutzt werden.

Weitere Informationen auf www.ffbiz.de.

 


Autorin:

Birte