Hajo Funke: Das Entscheidende ist, an der Seite der Ukrainer zu sein

Am 24. Februar 2022 marschierte Russland in die Ukraine ein. Politikwissenschaftler Hajo Funke spricht mit couchFM über den Ukrainekrieg. Er ist einer der bekanntesten Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher der deutschen Gegenwart. Er ist Dauergast bei Talkshows, hat zahlreiche Bücher geschrieben- zuletzt „Black Lives Matter in Deutschland“ – und ist politisch aktiv – unter anderem war er 2012 als Sachverständiger in 3 NSU-Untersuchungsausschüssen tätig.

Ein Interview vom 27.02.2022


GESPRÄCHSTOFF

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Herr Funke, Sie schreiben aktiv auf Ihrer Webseite über den russischen Kriegsangriff auf die Ukraine und in Ihrem ersten Beitrag appellieren Sie noch an eine deeskalierende Politik des Westens, die einen unkontrollierbaren Krieg verhindern könnte. Nun kam es am 24. Februar zum Kriegsbeginn – Hat sich der Westen mit der Lage Russland verschätzt? 

Also verschätzt hat sich die westliche Politik in der Tat. Man hätte schon 2008 sehen können, dass etwas nicht stimmt. Erst recht mit 2014 2015. Dass Putin insofern eine Gefahr darstellt, dass er eskaliert, auch über die Grenzen hinaus und bisher die Politik betrieben hat, das wieder einzuhegen durch die Mischung von Druck und Angebot. Und das ist mit seinem Einmarsch in die Ukraine geplatzt und beendet. Mein Eindruck ist, Wladimir Putin hat sich radikalisiert, zusammen mit ideologischen Anleihen aus der extremen Rechten, also etwa von Alexander Dugin, der ein großmächtiges Reich überlegt, zugleich Ideen aus der extrem neualten Rechten, also von Heidegger bis dem Carl Schmitt, belehnt und sagt Ihr müsst jetzt eine rechte Revolution machen. Und der Versuch des Westens, der übrigen Welt und auch eines Teils der russischen Bevölkerung inzwischen ist, das einzuhegen, das noch einmal einzudämmen. Und die große Frage ist, ob das gelingt.

Auf die Rhetorik möchte ich auch eingehen bei Putin. Er hat ja vieles gesagt, er wolle die Ukraine entnazifizieren. Er möchte die Russen in der Ukraine schützen. Er sagt, es sei die Ukraine, die Russland bedrohe. Können Sie noch einmal mehr darauf eingehen, wie Sie das einschätzen, diese Rhetorik?

Hajo Funke: Diese Rhetorik hat mit der Realität nichts zu tun. Putin hat tatsächlich projeziert. Er hat das, was er selbst womöglich denkt, auf den Gegner, den er zum Feind erklärte, projiziert. Das sei ein Naziland und er müsse es entnazifizieren. Dabei ist er in der Gefahr, nun einen Völkermord ähnliches Verbrechen zu formulieren. Er porträtiert einen Feind, der grenzenlos ist, der nicht mehr eingehegt werden kann und der mit nahezu allen Mitteln ja vernichtet werden muss. Und das bedeutet den Einsatz aller Kräfte in der Logik dieses Putin. Und es bedeutet auch den Einsatz von Neonazis wie dieser Wagner Gruppe des Dimitri Utkin. Und das ist hochgefährlich und sehr zerstörerisch und menschenfeindlich. Es gab in der Ukraine auch rechte Kräfte ja, aber das ist lange her und dominiert nicht die Politik. Die Politik ist dominiert von dem Präsidenten und dem Parlament und der Öffentlichkeit. Und Selenskyj ist ein, wie man sarkastisch zu anderen sagt, lupenreiner Demokrat. Er ist mit 73 Prozent der Stimmen gewählt worden und er hat nun auch gezeigt, wie sehr er mit einem mit einer Ukraine verbunden ist, wo es wirklich um das demokratische Volk geht, nicht um eine Ethnie gegen eine andere,  und er sie verteidigt, zu verteidigen versucht mit den Mitteln, die er hat, zusammen mit seiner Armee und einer Bevölkerung, die hinter ihm steht.

Selenskyjs Rhetorik ist ja doch eher sehr defensiv und auch sehr bürgernah. Er betont ja auch immer wieder, dass Ukraine keinen Krieg möchte. Entgegen den Behauptungen Putins, der ja immer wieder sagt, es sei die Ukraine, die Russland bedrohe. Dennoch scheint die Lage ist jedoch auch etwas verschärft zu haben und die Ukraine ist ja trotz dessen auch entschlossen und auch der Ton von seitens Deutschland hat sich verschärft. Also Deutschland geht jetzt auch auf Kurswechsel, hat beschlossen, Waffen in die Ukraine zu schicken. Also nichts mehr mit diplomatischen Lösungen?

Ja. Wie Annalena Baerbock im Bundestag gesagt hat: Diplomatie ist immer auf der Agenda. Aber das ist gegenwärtig nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist: An der Seite der Ukrainer zu sein. Im Bundestag hat es diesmal ist dieses Wort zu Recht formuliert worden, eine Reaktion auf eine Zeitenwende gegeben, nämlich auf einen völkerrechtswidrigen, brutalen, mit Erpressung arbeitenden Angriff auf ein Brudervolk. Was wir aber sehen ist, dass es nicht gelungen ist, einen Blitzkrieg durchzuführen. Offenbar war das in Putins Kopf. Er hat ja auch das Wort Blitzkrieg verwandt und das ist gescheitert, und zwar dank der großen Kampfmoral der so muss man reden, wenn es, wenn wir im Krieg sind, wir sind im Krieg in der Ukraine, in der großen Kampfmoral der ukrainischen Soldaten und ihrem Präsidenten und dem Verteidigungsminister. Es geht um Krieg, und da ist es wichtig, wie die Haltung der Bevölkerung wie die Haltung des Präsidenten ist. Das ist der Kern Grund, warum sehr viele der angreifenden Truppen aufgehalten worden sind und selbst heute keines der größeren Städte, obwohl es Ziel war, erobert worden ist. Und das ist gewissermaßen eine Entzauberung der riesigen großen und so weiter Armee Russlands unter dieser prekären Führung. Wie kann man, ohne die Bevölkerung wirklich einzubeziehen, ohne die Soldaten einzubeziehen, um was es geht, einen solchen Krieg lostreten, als es auch im Sinne der Machtpolitik eine Kriegspolitik des Scheiterns. 

Halten Sie denn einen Waffenstillstand für möglich? 

Im Moment nicht. Wenn Putin, wenn die russische Führung entscheidet, die Eskalation nicht weiter zu treiben und es zu einigermaßen seriösen Verhandlungen kommt, dann kann es auch zu einem Waffenstillstand kommen. Oder einen zeitlich begrenzten, aber im Moment sehe ich das noch nicht.

Noch einmal kurz zu Putin. Einerseits gibt er sich gesprächsbereit, verhandlungsbereit, auf der anderen Seite droht er mit Nuklearwaffen. Es scheint nicht so ganz einfach zu sein, ihn da zu durchblicken. Was genau fordert Putin, damit eine Invasion gestoppt wird? Also gehen wir davon aus, da kommen jetzt Verhandlungen. Was möchte Putin?

Er will im Grunde und das schon seit seit 2008 auf gleicher Augenhöhe als russische Großmacht repräsentiert werden können. Wenn ich da an die Bukarester NATO Tagung denke, was man gemacht hat ist, man hat tatsächlich sowohl Georgien wie Ukraine die Nato-Mitgliedschaft angeboten, man hat sie beschlossen, nur nicht für gleich. Dann kam am Ende der Tagung nicht während der Tagung Putin, der noch mal reden durfte. Und dann ist Putin diesem sehr unkontrollierten Bush Junior noch entgegengekommen und hat gesagt, wir treffen uns bei mir in Sotschi, um das andere große Problem anzugehen, was auch nicht angegangen worden ist, dann im Effekt nämlich das Raketenabwehrsystem noch in Frage zu stellen, das in dieser Zeit durchgesetzt worden ist. Wie gehst du als russischer Führer mit einer solchen Demütigung oder Zurückstellung um? Und da ist eine Schieflage und es wäre gut gewesen, wenn es gelungen wäre, tatsächlich die Ukraine als demokratische Brücke zwischen West und Ost zu organisieren. Das haben beide Seiten nicht geschafft. Das ist ein Versagen der Diplomatie. Diese Idee einer neuen Ostpolitik ist mit diesem Einmarsch gescheitert. Das heißt nicht, dass man nicht zu diplomatischen Kompromissen zurückkehrt. Auch nach anderen furchtbaren Kriegen kam es zu Abkommen. Es gibt ein wunderbares Wort eines jüdischen Philosophen, Ernst Simons. Er sagt: Ich bin absolut realistisch, aber ich habe die Hoffnung, dass es auch anders werden kann.

Es hat sich auch gezeigt, dass in Russland Widerstand möglich ist, dass man sicherlich nicht die Bevölkerung mit Putin immer in einen Topf werfen kann und sollte. Sehen Sie Hoffnung in den Protesten?

Wenn es in Russland trotz der Gefahren der Verhaftung in Sankt Petersburg. In Rostow. In Moskau Tausende und Zehntausende gäbe, dann können die die nicht alle verhaften und in einer Kriegssituation will man die Heimatfront “ruhig halten”. Das heißt, wenn Zehntausende auf die Straße gehen, weil sie die mobilen Krematorien sehen, mit denen die Menschen, die russischen Soldaten, die getötet sind, verbrannt werden. Also wenn dieser Protest wirklich zu einem Sturm käme, zu Zehntausenden, dann hätten wir eine völlig andere Situation. Dann wäre tatsächlich die militärische und politische Führung gezwungen, neu nachzudenken. Durch den internen Druck. Das haben wir gegenwärtig nicht, aber es kann gut sehr schnell dazu kommen. Also, dieser Protest kann entscheidend werden.

Was glauben Sie, wie es weitergeht?

Was für eine Frage. Wenn es in der russischen Führung heißt, in der militärischen politischen, ein Nachdenken gibt, so wie es heute fast kaum größere Kampfhandlungen gegeben hat, weil man sieht, dass es bisher so nicht erfolgreich war wie geplant, dann ist denkbar, um sozusagen die Haut zu retten, um das Gesicht zu wahren, dass man einen vernünftigen Waffenstillstand durch Nachverhandlungen hinkriegt, das ist das eine Szenario, das Positive. Es gibt Sicherheitsbedürfnisse, die Russland hat und die man nicht teilt, aber auf die man auch guckt. Und das heißt dann zum Beispiel, wenn ihr zu einer Einigung kommt, nicht nur über diesen Waffenstillstand, sondern zwischen der Ukraine und Russland, dass man sich in Ruhe lässt und die Ostukraine beruhigt wird, dann würde man beiden Seiten entgegenkommen. Die Vermeidung weiterer Kriegshandlungen, ein Waffenstillstand oder mehr eine Art Vertrag oder vorläufigen Vertrag dient ja beiden, wenn man nicht ein so eigentlich schon wahnsinniges Großmacht-Konzept vertritt, wie es Putin offenbar gegenwärtig tut, dass etwas ganz anderes vorsieht als das gegenwärtige Russland. Also wenn man zu großmächtig agiert, dann ist das zweite Szenario, das negative Szenario, eher wahrscheinlich, dass man weiter eskaliert, dass es zu mehr Toten kommt, dass es zu einer weiterreichenden Zerstörung der ökonomischen und politischen Ressourcen oder gar der Zivilbevölkerung kommt. Und das wäre dann noch mal wieder eine Eskalation von ganz anderen Graden als den bisherigen. Also es ist beides denkbar leider. 

Herr Funke, vielen Dank für das Gespräch. 

Gerne.

Zoom mit Hajo Funke
Hajo Funke und Victoria im Onlinegespräch

Weiterführende Links 

Hajo Funkes Website und Blog

Hajo Funke zu Gast bei “Jung & Naiv”

taz über Hajo Funke: “Forscher und Aktivist Hajo Funke”

 


Autorin:

Victoria Atanasov

Victoria