Warum gerade jede*r die Mode der 80er feiert

Ein Gespräch über Mode, Musik und Marketing

Die erfolgreiche Netflix-Serie “Stranger Things” hat den Startschuss geliefert für einen der vermutlich überraschendsten Retro-Trends 2020: das Revival der 80er Jahre. Seitdem beobachtet man bei vielen jungen Menschen eine Faszination für Mode, Musik und den Lebensstil dieser Zeit. Doch was steckt eigentlich dahinter?


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Es ist schon fast erstaunlich, dass die nun auch im Mainstream angekommene Popularität der 1980er Jahre einer Science-Fiction-Serie aus den USA zu verdanken ist: “Stranger Things” hat mit ihrem Erfolg und der entsprechenden Reichweite nicht nur einen regelrechten Kult um Mystery-Serien ähnlicher Art ausgelöst, sondern darüber hinaus auch neue Akzente für die Pop- und Hochkultur heutiger Generationen gesetzt. Filme, Bücher und Musik, die in den 80ern erstmals erschienen sind und von den Figuren in der Serie wieder aufgegriffen werden, erfahren einen wahren Beliebtheitsboom. Wer heute “Zurück in die Zukunft” gesehen hat oder Bob Ross kennt, gilt als cooler Typ, denn Retro-Trends sind unter jungen Leuten ein beliebtes Phänomen. Aber auch musikalisch hat uns “Stranger Things” so manches Déja-Vu beschert: Einstige musikalische Flops wie “Running Up That Hill” von Kate Bush erobern im Jahr 2022 die Spitze der deutschen Charts. Das deutet unmissverständlich auf die globale Dimension des ursprünglich US-amerikanischen Trends der 80er.

Alle Jahre wieder…entsteht ein neuer Trend

Trends zu analysieren und zu begreifen, wie sie entstehen, ist auch in der Wissenschaft eine Herausforderung. Gerade im 21. Jahrhundert ist die Erforschung von Trends jeglicher Art schwieriger geworden, da die meisten von ihnen kurzlebig sind und sich deshalb nicht lange genug beobachten und untersuchen lassen. Umso schwerer sei es dann auch, den nächsten Trend vorhersagen zu können, meint Dr. Tobias Becker, Historiker und Trendforscher an der Freien Universität Berlin. Es lägen zu einer bestimmten Zeit vermutlich mehrere Trends in der Luft, sagt er. Wer dann am Ende der Trendsetter werde und sich durchsetze, entscheide sich meist hinterher. Becker hat seine wissenschaftliche Karriere der Erforschung von Trends und Popkultur gewidmet. Seine nächste Publikation verfasst er zum Thema Nostalgie. Diese soll 2024 als Buch erhältlich sein. Ist die Popularität der 1980er Kultur und Mode vielleicht mit Nostalgie zu erklären?

Die Erfolgsserie “Stranger Things” ist gerade wegen des charakteristischen Kleidungsstils der Hauptfiguren beliebt | Foto: pixabay.com

“Ich persönlich würde … argumentieren, dass Nostalgie da keine so große Rolle spielt, dass es tatsächlich eher um so Sachen wie Marketing geht”, sagt Becker und bezieht sich dabei auf die Marketing-Strategie der Modeindustrie. “…[N]atürlich geht es darum, irgendwie damit Geld zu machen und vor dem Hintergrund sich beschleunigender Mode, fast-fashion und so weiter, braucht es ja auch ständig, immer wieder neue Trends, um eben entsprechend viel verkaufen zu können […]”. Diese Beschleunigung der Trendkultur sei dabei nicht erst ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, sondern wurde zuvor schon von Historiker*innen des 20. Jahrhunderts beobachtet und beschrieben. So vollziehen sich Trends in sog. Schleifen, die alle 15 Jahre erneut auftreten. In der heutigen Zeit werde die ohnehin existierende Schnelllebigkeit von Trends dann zusätzlich durch Fast-Fashion-Konsum und die Geschäftsmodelle der Modeindustrie beschleunigt. Dass sich junge Menschen beim Friseur wieder für den Vokuhila oder die Dauerwelle entscheiden, geht also nicht nur auf das Konto von “Stranger Things” oder dem Remake der “Ghostbusters”. Der Markt hat zudem Kontrolle darüber, was als modisch, als “in” gilt und was dementsprechend verkauft und konsumiert wird.

Retro-Mode als bewusste ökologische Entscheidung?

Dabei könnte man dem Hype um 80er Jahre Mode auch etwas Positives abgewinnen, denn durch die Wiederentdeckung der Kleidung aus den vergangenen Jahrzehnten – und das beinhaltet nicht nur die 1980er selbst, sondern auch die 90er und frühen 2000er-Jahre – entsteht eine Nachfrage nach gebrauchter Vintage-Mode. Second-Hand- und Vintage-Läden haben ihre Verkaufsmodelle danach ausgerichtet, ausschließlich gebrauchte Waren im guten Zustand an neue Kund*innen weiterzuverkaufen. Das spart Ressourcen und schont die Umwelt. Hinzu kommt, dass immer mehr junge Menschen ältere Geschwister, Eltern oder sogar Großeltern nach gebrauchter Mode fragen, um ihre Kleiderkammer zu befüllen. Oma’s Kleiderschrank kann sich so als wahre Schatzkammer an Retro-Fashion entpuppen. Doch auch der Trend, weg vom Neukauf und hin zum Kleidertausch oder Second-Hand, ist keineswegs neu. “Eigentlich könnte man darauf verweisen, dass durch die Geschichte der Menschheit hindurch […] Second-Hand das Normale war. Also man hat ein Kleidungsstück so lange getragen, bis es auseinandergefallen ist. Man hat es repariert und wieder repariert. Man hat es, wenn man rausgewachsen ist, an jüngere Geschwister weitergegeben. Und erst im 20. Jahrhundert mit der Beschleunigung von Mode […], also mit immer mehr Angebot, wird auf einmal alte Kleidung zu tragen, ein Zeichen von Armut”, erklärt Dr. Becker und setzt fort “wenn wir durch Berlin gehen, die meisten Geschäfte sind eben keine Second-Hand-Läden, sondern sind H&M, Zara und so weiter. Insofern [sollte] das sogar mehr sein, wenn man sich wirklich einen gesellschaftlichen Impact davon erhofft.”

Um an authentische Vintage-Mode zu kommen, gehen viele Menschen in Second-Hand-Läden einkaufen | Foto: Humana Second Hand

Wir halten somit fest: Das Revival der 80er Jahre Kultur und Mode ist gar nicht so überraschend und abwegig wie ursprünglich angenommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich bei dem plötzlichen Boom von 80s-Fashion um einen natürlichen Zyklus von kulturellen Trends. Das zeigt sich allein schon daran, dass jetzt im Jahr 2022 neben den 80ern auch die 90er wieder beliebter werden. Bauchfreie Tops und Baggy Jeans werden Trainingsanzug und Schlaghosen also bald den Rang abtanzen. Zwar begünstigt die Tendenz weg von neuer Kleidung und hin zu Vintage-Fashion die Beliebtheit älterer Modestile, aber profitorientierte Kleiderketten wissen diese Trends genauso für sich zu nutzen wie Second-Hand-Geschäfte. Am Ende ist jedoch nur eines wichtig, damit sich ein Trend durchsetzt: Er muss Spaß machen und manchmal auch ein bisschen verrückt sein. Und was ist verrückter als die quirligen Frisuren und bunten Designs der 80er?


Autorin:

Lovina