Zeit zum Erinnern – im jüdischen Ghetto von Krakau

Studierende lernen das Ghetto durch die Überlebende Roma Ligocka kennen

Während des zweiten Weltkrieges richteten die Nazis in Krakau ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung ein. Es wurde zusammen mit dem nahegelegene Konzentrationslager Auschwitz für die systematische Ermordung von Jüd*innen genutzt. Roma Ligocka ist eine der wenigen Personen, die das Ghetto überlebt haben. Studierende der Viadrina lernten den Ort und die Geschichte von Roma Ligocka, dem Mädchen im roten Mantel, kennen.


GESPRÄCHSTOFF

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Studierende vor dem Haus von Roma Ligocka | Foto: Katharina Birjukov

Das jüdische Ghetto im jungen Krakau

Bei strahlendem Sonnenschein an einem Donnerstag im Juni 2022 laufen ein Dutzend Studierende der Viadrina Universität durch das Viertel Podgórze. Das Viertel wurde 1941 von den deutschen Besatzern als jüdisches Ghetto abgeriegelt. Heute sind die zweistöckigen Häuser, bei denen der Putz zwischen den Stuckblumen abblättert, zum Teil verlassen. Vor einigen stehen aber Tische und Stühle, Cafés sind dort eingezogen und auf den Straßen führen Frauen ihre Hunde spazieren. Dieses Viertel südlich der Weichsel ist nur ein wenig ruhiger als der belebtere Rest der jungen Stadt. Die damalige Geschichte ist nur noch zu erahnen. Deutlich wird sie auf dem „Platz der Helden“, wo leere Stühle den Opfern des Holocausts gedenken.

Das Viertel wurde damals unter dem Vorwand eingerichtet, hygienische Bedingungen schaffen zu wollen. Alle Jüd*innen der Stadt mussten 1941 binnen kürzester Zeit in diesen Teil der Stadt ziehen. Das bedeutetet, dass tausende Menschen auf engstem Raum leben mussten. Neben den schlechten Lebensbedingungen war es unberechenbar, wer im nächsten Moment in das nahegelegene Konzentrationslager Auschwitz transportiert werden würde. Wie ein Vorbote dessen, was sie erwarten würde, sahen die Mauern des Ghettos wie Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen aus.

Foto: Katharina Birjukov

Auf den Spuren des Mädchens im roten Mantel

In der Straße Ulica Josefinska lebte in dieser Zeit Roma Ligocka mit ihrer Familie. Sie erkannte sich später in dem Film „Schindlers Liste“ als das dort erscheinende Mädchen im roten Mantel wieder. 2000 benannte sie ihr Buch – “das Mädchen im roten Mantel” – danach. Darin beschreibt sie ihre Erfahrungen. So überlebte sie als Kind 1943 eine der größten und letzten Razzien im Viertel Podgorize. Innerhalb weniger Stunden wurden an diesem Tag 1000 Menschen erschossen. Ihre Mutter versteckte sich mit ihr und daraufhin konnten sie das Ghetto verlassen.

„Die Männer von der Putzkolonne nehmen uns unauffällig in ihre Mitte. Sie setzen mich hastig zwischen die Koffer auf dem Karren, werfen eine Decke über mich. Die Putzeimer klappern. Die Räder des Wagens holpern auf dem Kopfsteinpflaster. Ich höre das gleichmäßige Wisch-Wisch des Besens, die den blutigen Schnee wegkehren. Wir gehen durch das große Tor in die andere, die arische Welt. Hinter uns liegt das fast gänzlich verlassene Ghetto. Mir kommt es so vor, als ob ich ab jetzt kein Kind mehr bin.“ (Auszug aus Roma Ligocka: “Das Mädchen im roten Mantel” (2000), S. 46-47)

Nach dem Gang durch das Viertel waren die Studierenden aus Frankfurt (Oder) eigentlich mit Roma Ligocka verabredet. Ein Treffen mit ihr war dann aber leider aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Die Worte in ihrem Buch transportieren die Erfahrungen jedoch äußerst eindrücklich.

Weiterführende Informationen

Ligocka, Roma und Iris von Finckenstein (2000): „Das Mädchen im roten Mantel“,‎ München: Droemer Knaur.

 


Autorin:

Leonie